Warum gibt es eigentlich die vielen Fritz Haber- und Ferdinand-Porsche-Straßen?

26. Februar 2021

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Porsches Erfolge „beruhten auf Sklavenarbeit“
Der Roman „Hartenstein“ erinnert an Zwangsarbeit und andere Naziverbrechen

Wolfram Adolphi (70), Chinawissenschaftler, Journalist und Schriftsteller aus der DDR, hat mit „Der Enkel vorne links“ den dritten Band seiner autobiografisch geprägten Roman-Trilogie „Hartenstein“ vorgelegt. Im Kapitel „Der Abriss“ erfahren wir, wie sich der Roman-Protagonist Jakob Hartenstein Gedanken über Fritz Haber macht: den „Vater“ des Gaskrieges im Ersten Weltkrieg, der sich zugleich als Entdecker des Verfahrens, Stickstoff aus der Luft zu gewinnen, einen Namen gemacht hat und dem bis heute unzählige Straßen gewidmet sind.

Warum nicht – fragt sich Jakobs junge Mitstreiterin Elisa Graetz – die Haberstraße in Leupau einfach in Clara-Immerwahr-Straße umbenennen? Um damit die Ehefrau Habers zu ehren, die selbst Chemikerin war und sich im Entsetzen über die Kriegsverbrechen ihres Ehemannes das Leben nahm?

Aber die kleine nächtliche Aktion mit neuen Straßenschildern bleibt nur Symbol. Offiziell bleibt auch in Leupau die Haberstraße erhalten – und es bleibt also geehrt ein Mann, der nach dem Tod seiner Frau weiter machte wie bisher. „Wurde“, lässt Adolphi seinen Jakob Hartenstein sagen, „zum Initiator der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), in der seine Mitarbeiter, damit die Gesellschaft ihren Zweck erfüllte, ein Präparat aus Cyan- und Chlorverbindungen erfanden, das 1920 unter dem Namen Zyklon auf den Schädlingsbekämpfungsmarkt kam. Zyklon. Ein paar Jahre später – Haber, der Anfang neunzehnhundertvierunddreißig starb, war nicht mehr dabei – verbesserten sie es. Wie es die Art ist von Weiterentwicklern. Und machten es zum später millionenfach mörderischen Menschenvernichtungsgas Zyklon B.“

Über die frühen Absprachen zwischen der IG Farben und Hitler über einen Festpreis für das aus Braunkohle zu gewinnende Benzin – „Und nun ein Festpreis! Aus der Staatskasse! Nie wieder – das wussten Bosch und Haber ganz genau – würde ihnen wieder jemand so ein Geschenk machen wie die Faschisten“ – lässt Adolphi Jakob zu einem anderen vielfachen Straßennamenspatron kommen: Ferdinand Porsche. Eng war das Bündnis zwischen Porsche und Hitler, die Verbindung von VW mit Krieg und Faschismus. Und dennoch:

„Und wie viele Ferdinand-Porsche-Straßen gab es – ja, jetzt, an diesem Tag, und nicht irgendwann – in Deutschland? Jakob warf die Suchmaschine an: Frankfurt am Main, Offenbach, Köln, Gera, Leimen, Lippstadt, Dortmund, Bonn, Nufringen, Ettlingen, Grünstadt, Stade, Bischofswiesen, Heinsbach, Gütersloh, Besigheim, Aalen, Bretzfeld-Schwabbach – ach, es war genug. Immer neue Namen tauchten auf. Wer sollte sie alle aufschreiben und zählen. Und warum. Porsche gehörte zu Deutschland. Und so, wie Porsche dazugehörte, auch die Zeit des Faschismus. Und wie man damit umging? Der Zeitgeist sprach seine überwältigende Sprache. Da mochte ein Buch wie das von Georg Meck Klarheit schaffen über die Zusammenhänge – den Zeitgeist störte das nicht. Damals war Diktatur, rief er, jetzt ist Demokratie, da ist alles ganz anders, und damit war alles geklärt.“

Um Porsche ausführlicher darzustellen, lässt Adolphi Jakob aus der Autobiografie vom 2019 verstorbenen Porsche-Enkel Ferdinand Piëch – selbst einer der Granden des Porsche-Volkswagen-Komplexes – zitieren. Da ist dann also zu lesen, dass Porsche schon in den neunzehnhundertzwanziger Jahren in persönlichen Kontakt mit Hitler gekommen sei und dieser ihn „überaus geschätzt“ habe. Man habe sich in den beiderseitigen „Motorisierungsideen“ getroffen. Das sollte sich später für Porsche als überaus profitabel erweisen. Als Hitler 1934 von der Automobilindustrie den „wirtschaftlichen Kleinwagen“ verlangte, „den sich jedermann in Deutschland leisten können solle“, sei man im Porsche-Konstruktionsbüro „im Vordenken schon sehr weitgekommen“ und habe „rasch ein Konzept vorlegen“ können. Daraufhin sei der „Entwicklungsauftrag erteilt“ worden, und zwei Jahre später „begannen die Versuchsfahrten in größerem Stil“.

„War er da“, sinnt Jakob, „nun für noch anderes verantwortlich zu machen außer für ein praktisches Auto, der Hitler-Freund Porsche? Nicht wirklich, liest Jakob bei Piëch, und der meinte das nicht allein und nur für sich, sondern hatte sich des Beistands der Geschichtswissenschaft versichert. ‚In der kürzesten Verdichtung‘ – schrieb Piëch – ‚kommt der Historiker Hans Mommsen zu dem Schluss: ›Wie weit sich Porsche über den verbrecherischen Charakter des Regimes, dem er diente und dem er entscheidende Förderung verdankte, im Klaren gewesen ist, muss offen bleiben. Er stellte den Prototyp des ausschließlich an technischen Fragen interessierten Fachmanns dar, der sich aber andererseits nicht scheute, die Herrschenden direkt anzugehen, wenn es um die Interessen des Volkswagenwerkes ging. Unter den Industrieführern der NS-Zeit nahm Porsche ebenso eine Sonderstellung ein wie in der politischen Führungselite.‹ Na bitte. Und auch Ferry Porsche, Sohn des Firmengründers, kommt bei Piëch in diesem Sinne zu Wort. Ein ‚äußerst praktischer Mann‘ sei sein Vater Ferdinand Porsche gewesen, ‚ein Realist, jederzeit in der Lage, ein Problem sofort zu verstehen und oftmals auch umgehend zu lösen‘ – aber erstaunlicherweise eben nur ‚in technischen Belangen‘. Politisch hingegen sei er ‚naiv wie ein Kind‘ gewesen. Über ‚Ereignisse von nationaler oder internationaler Bedeutung‘ habe er sich ‚keine Gedanken gemacht‘.

Naiv wie ein Kind. Der Autobauer der Spitzenklasse und
Hitlerfreund. Dessen Naivität sich – so war an anderer Stelle
zu erfahren – mit Distanzwahrung verband. ‚Distanz zum ganzen Brimborium der Nazis.‘ Ja, das schrieben sie gern in diesen Kreisen. Dass sie mit den Nazis eigentlich nichts zu tun haben wollten.“

Und Adolphi lässt Jakob weiter über die beiden Autobauer nachdenken. Es war ja nicht so, „dass Piëch die Fakten der engen Verquickung mit dem faschistischen Regime nicht zur Kenntnis genommen hatte. Durchaus eindrucksvoll beschrieb er, wie für den Bau des von Porsche erfundenen Autos in der Nähe der kleinen niedersächsischen Ortschaft Fallersleben mit den Geldern der Kraft durch Freude-Organisation, die zu einem großen Teil aus dem 1933 von den Nazis beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen stammten, jenes Werk errichtet wurde, das bis heute den Kern des weltweit agierenden Volkswagenkonzerns bildet. Wolfsburg heißt die Stadt
heute. Den Namen hatte sie 1945 von den britischen Sieger- und Besatzungstruppen erhalten.

Und Jakob las weiter, dass im Volkswagenwerk von neunzehnhundertvierzig an ‚Flugzeuge repariert und Flugzeugteile produziert wurden‘.“ Die Produktion des Volkswagens hingegen „sei ‚nicht über 630 Stück hinaus‘ gekommen, entwickelt worden sei aber ‚der vielgerühmte Geländewagen‘ (›Kübelwagen‹), von dem der ‚Schwimmwagen und der Kommandantenwagen abgeleitet‘ worden seien mit einer Gesamtproduktion von ‚rund 66.000 Stück‘. Ansonsten sei das Werk ‚nur‘ – tatsächlich: nur! – ‚für die Rüstungsproduktion genutzt‘ worden: ‚Motoren und Feldöfen, Flugzeug-Bauteile, Panzerketten, Munition, Gehäuse für Bomben, Minen und die V1‘. Und ‚wesentlich‘ sei auch die ‚Flugzeugreparatur‘ geblieben.

Und auch vom ‚dunkelsten Kapitel‘ hatte Piëch geschrieben. Dem ‚Schicksal der Zwangsarbeiter. Zuerst waren es Zwangsverpflichtete aus Deutschland und den besetzten Gebieten, dann auch Juden aus KZs und Kriegsgefangene, hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion.‘“

„Drei Zeilen“, resümiert Jakob diesen Abschnitt bei Piëch. Drei Zeilen. „Nicht mehr. Und Ferdinand Porsche – ‚naiv wie ein Kind‘ – war auch in dieser Zeit ‚die bestimmende Kraft in der Unternehmensführung‘.“

Wir wissen: Deren Erfolge beruhten auf Sklavenarbeit. Die Betriebsgewinne in den Kriegsjahren waren enorm. Die spätere „\Wiedergutmachung“ entsprach nicht diesen Gewinnen. Große Gewinne wurden nach dem Krieg auf der Grundlage des im Krieg durch Sklavenarbeit vermehrten Kapitals erzielt. Die Mítschuld an der militärischen Ertüchtigung des Nazi-Regimes und der Sicherung seiner Fähigkeit, den Krieg so lange und so brutal zu führen, wie es dann geschehen war, wird in Piëchs Betrachtungen noch nicht einmal ansatzweise berührt.

Umso ausführlicher aber – merkt Jakob – in der Porsche-Volkswagen-Darstellung von Georg Meck. „Sofort wurde das Bild klarer. Nicht eine kurze Episode war der Zwangsarbeitereinsatz gewesen und nicht etwas, was es irgendwie zusätzlich gab – nicht also ein ‚dunkles Kapitel‘ neben ansonsten ganz hellen –, sondern eine Voraussetzung für die Produktion überhaupt. Seit Kriegsbeginn – schrieb Meck – war Porsche ‚mit seiner Fabrik permanent auf ausländische Einsatzkräfte angewiesen‘.“ Porsche sei „nicht davor zurückgeschreckt, ‚mit Himmler einen Vertrag auszuhecken, wonach die SS die Fertigstellung, den Ausbau und Betrieb der Gießerei mit KZ-Häftlingen‘ übernahm und er ‚im Gegenzug‘ der SS ‚die bevorzugte Lieferung von 4000 Autos‘ garantierte.“ Und weiter las Jakob bei Meck über KZ-Häftlinge: „‘Allein im Stammwerk‘ seien ‚800 Männer als Bauarbeiter geschunden‘ worden, und ‚650 Frauen‘ hätten ‚Panzerfäuste und Tellerminen‘ hergestellt.“ Zum Jahreswechsel 1944/45 „seien ‚im VW-Werk insgesamt 17.365 Zwangsarbeiter beschäftigt‘ gewesen, davon ‚zwei Drittel Ausländer‘. Historiker – schrieb Meck weiter – beschrieben die im Werk herrschenden Zustände ‚als dramatisch‘, und er zitiert Christoph Kopper: ‚Im Werk waren die sowjetischen Arbeitssklaven dem Sadismus der Leute vom Werkschutz wehrlos ausgesetzt. Die Werksleitung nahm die unzumutbare Unterbringung und Verpflegung der ›Ostarbeiter‹ in Kauf‘, für sie ‚habe die Produktion absoluten Vorrang vor humanitären Bedenken‘ gehabt.“

Quelle: Wolfram Adolphi, „Hartenstein“, Band 3 „Der Enkel vorne links“, Roman, Nora-Verlag, Berlin 2020, S. 464-471