Rüstungsindustrie setzt wieder auf den großen Krieg

15. Juni 2022

In der Zeitschrift Ossietzky hat Ulrich Sander über die Interessen der Rüstungsindustrie am Faschismus einst und am Krieg von heute geschrieben. Er führt aus:

Originalton Schulbuch DDR: „Die rasche Sammlung der antifaschistischen Kräfte und der schwindende Masseneinfluss der Nazis veranlasste die reaktionärsten Kräfte des deutschen Monopolkapitals und der Junker, auf die schnelle Errichtung der faschistischen Terrorherrschaft zu drängen. Namhafte Vertreter forderten von Hindenburg, die sofortige Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.“ So steht es im Lehrbuch „Geschichte 9“ des Ministeriums für Volksbildung der DDR, Ausgabe 1970, Seite 142, über die Lage im November 1932. Acht Wochen später ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.
Originalton Schulbuch BRD: nichts dergleichen, allenfalls „Aus Furcht vor dem Kommunismus und in der Hoffnung auf eine Belebung der Wirtschaft unterstützten ihn auch namhafte Industrielle mit großen geldlichen Zuwendungen.“ (Geschichte der neusten Zeit, von 1850 bis zur Gegenwart“, Seite 146, 1953, Ernst Klett Verlag Stuttgart)
Lehrer/innen aus der Bundesrepublik haben bisweilen das DDR-Lehrbuch herangezogen, wenn es um die Schilderung des Endes von Weimar ging. Sie sagten, die westdeutschen Schulbücher hätten die Rolle des Kapitals, vor allem der Rüstungsindustrie, in jener Zeit ausgeblendet.
In der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache hingegen wird zum Motiv der Industrie, Hitler zum Führer zu machen, ausgeführt: „Insbesondere versprach sich die einflussreiche Schwerindustrie von einer Aufrüstung Deutschlands Gewinne.“ Nicht ausgeblendet wird die historische „Industrielleneingabe“ an Hindenburg in der Gedenkstätte „Widerstand und Verfolgung 1933-1945« in der Dortmunder Steinwache. Noch gibt es den Raum 7 „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“. Ein Raum wie dieser ist in der heutigen BRD wohl einmalig.
Die VVN-BdA in Dortmund setzt sich seit Jahren beharrlich für eine korrekte Darstellung der Geschichte ein. Ihre Ehrenvorsitzende Agnes Vedder, die kürzlich im Alter von 95 Jahren starb, hat bis zuletzt gehofft, dass die Stadt Dortmund den Skandal der Ehrentafel für den Hitler-Finanzier Emil Kirdorf im Stadtteil Eving beendet. An anderer Stelle soll, so schrieb sie unter Bezug auf die Lehren der Geschichte, eine Mahntafel entstehen, dort, wo die Hitler-Finanziers aus der „Ruhrlade“ 1933 tagten. Sie schlug vor, „an der Grünanlage Hainallee eine Mahntafel anzubringen“. Dorthin führen regelmäßig antifaschistische Mahngänge. „Sie führen uns auch zu den Stolpersteinen für die Opfer des NS-Regimes. Wir sind der Meinung, dass es auch Erinnerungstafeln an die Täter geben sollte. Darunter jene aus der Wirtschaft.“ Deshalb setzt sich die VVN-BdA für die mahnende Kennzeichnung des Ortes der Tagung der „Ruhrlade“ im Januar 1933 zur Durchsetzung von Hitlers Kanzlerschaft ein. Begrüßt wurde die Schaffung des Mahnmals auf der Kulturinsel im Phönixsee, das die Verbrechen der Stahlkonzerne an den Zwangsarbeiter/innen aufzeigt (siehe https://steinwache-rombergparkkomitee.org/?s=Mahnmal&submit=Suchen).
Die Rolle der ökonomischen Eliten in den Schicksalsjahren 1932/33 aufzuzeigen, bedeutet, die Frage zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen?
Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber – um ein Wort von Primo Levi zum Holocaust leicht abzuwandeln – bei uns ist es geschehen, und es kann wieder geschehen. Daher seien wir wachsam! Heute geht es nicht um die Feststellung: Die Schwerindustrie setzt auf die Nazis. Es geht um dies: Die Rüstungsindustrie setzt auf die größte Koalition, geführt vor allem von dem Oligarchen und BlackRock-Rüstungsindustriellen Friedrich Merz, der insbesondere die Interessen der US-Rüstungskonzerne vertritt, aber auch jene der deutschen wie Rheinmetall.
Wir erfuhren dies: Rheinmetallchef Armin Papperger freut sich, dass die Zeiten vorbei seien, da man hier in Deutschland „in fast zwei Generationen verlernt habe, wehrhaft zu sein“. Das zitierte die Süddeutsche Zeitung am 28. April 2022 und fuhr fort: „Es mögen heute ziemlich furchtbare Zeiten sein, aber für einen Hersteller von Kriegsgeräten und seine Aktionäre sind sie lukrativ. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie lag am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine zwischen 94 und 98 Euro. Heute kostet ein Papier 215 Euro.“ Die dpa meldete am 11. Mai 22 ergänzend: „Der Panzer- und Artillerie-Hersteller Rheinmetall geht davon aus, dass er sein Geschäft mit der Bundeswehr künftig verdoppelt.“ Künftig würden es „mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr werden,“ sagte der Rheinmetall-Chef.
Die Lobbyisten der Rüstungsindustrie sitzen direkt im Bundestag. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Fürsprecherin von Waffenlieferungen größten Ausmaßes für den Ukrainekrieg, Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sitzt im Präsidium des „Förderkreises Deutsches Heer“. „In dem Kreis arbeitet die Frau mit Vertretern von Lockheed Martin, ThyssenKrupp, Airbus, Daimler, Rheinmetall, Krauss-Maffei-Wegmann, der Waffenschmiede Diehl und der französischen Thales-Gruppe zusammen,“ berichtet am 9. Mai 22 die Schweriner Volkszeitung und fährt fort: „In der ‚Gesellschaft für Wehrtechnik‘ ist Strack-Zimmermann ebenfalls im Präsidium, in der „Bundesakademie für Sicherheitspolitik‘ im Beirat.“ Der Verein Lobbycontrol erklärte: Die Gesellschaft für Wehrtechnik und der Förderkreis Deutsche Heer seien „von der Rüstungsindustrie stark beeinflusste Organisationen“, es sei kritisch zu sehen, dass dort Abgeordnete des Bundestages leitende Funktionen übernehmen. (aus Ossietzky, 10/22, dort gekürzt)