Blick in die Geschichte

12. Februar 2021

Fragwürdiger Umgang mit Geschichte in der Gedenkhalle
Ein Beitrag von Otto Marx, Fritz Meinicke und Ramin Rene Sarrafi
Oberhausen im Juni 2012

Seitdem die neu gestaltete Gedenkhalle am 2. Dezember 2010 eröffnet wurde gibt es nicht nur Zustimmung. Es gibt berechtigte Kritik, vor allem von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA).

Oberhausener Gedenkhalle und der Nationalsozialismus
Die Oberhausener Gedenkhalle diente nie einem Selbstzweck, sie war immer Gegenstand der Geschichtspolitik und Einflussnahme auf die allgemeine Meinungsbildung. Das kann in einer Gesellschaft, die eine Einheit von Gegensetzen (Kapital und Arbeit) ist, auch nicht anders sein, die Gegensätze sind unüberbrückbar. Hinzu kommen unterschiedliche politische Standpunkte und Interessen der Akteure, die sich in den Gestaltungsmöglichkeiten widerspiegeln. Nach 40 Jahren erfuhr die Oberhausener Gedenkhalle eine Erneuerung an Haupt und Gliedern. In der Selbstdarstellung heißt es: „Zukünftig sollen die aktuellen Bedürfnisse von Museumsbesuchern, eine anregende Darstellung von Geschichte vorzufinden, noch besser berücksichtigt werden. Zugleich wird die neue Dauerausstellung in der Gedenkhalle neue Erkenntnisse zur Stadt- und Regionalgeschichte auf zeitgemäße Art und Weise vermitteln. (…)
Die Ausstellung setzt darauf, dass auch den jüngeren Generationen durch die neue Ausstellung ein vertieftes Verständnis für die Geschichte Oberhausen zwischen 1933 und 1945 vermittelt werden kann. Die Stadt Oberhausen betrachtet dies als die notwendige sachliche Basis, um sich zukünftig auf einer objektiven historischen Folie auch für die demokratische Gesellschaftsordnung einsetzen zu können. Wir bieten ein umfassendes museumspädagogisches Angebot an.“
Im Vorraum der Ausstellung weist eine Fotokonserve dürftig, u. a. mit einem Bild von Walter Kurowski, auf die geschichtliche Entwicklung der Gedenkhalle hin.
Das Neue:
Im äußeren Rundgang erfährt der Betrachter anhand von Exponaten und Erinnerungen, wie die Oberhausener die faschistische Herrschaft erlebten.

  • Die Uniformierung und Militarisierung der Jugend durch HJ und BDM.
    • Die Rassenideologie als Staatsdoktrin mit der Einführung des Ahnenpasses bei Heirat.
    • Die Programmierung der Frauen auf Kinderkriegen, durch die Mutterkreuze.
    • Wie der Nationalismus und Rassismus tief in das Leben des Einzelnen eingriff und zum Holocaust führte.

Dass sich nicht alle in das nazistische Regime einbinden ließen zeigt das Schicksal von Hermann Albertz, er lehnte eine angetragene Mitgliedschaft in die NSDAP ab. Der ehemalige sozialdemokratische Abgeordnete des Preußischen Landtages wurde Opfer der nazistischen Willkür. Im Gegensatz dazu steht Wilhelm Heuser, der Oberbürgermeister wechselte vom Zentrum zur Nazipartei.

Mängel in der Behandlung des Widerstandes

Der Widerstand gegen das Naziregime wird dürftig, anhand von Einzelpersonen, als Privatsache dargestellt. Er wird individualisiert und nicht als Bewegung begriffen, die auch organisationsübergreifend war. Für die Meinungsbildung in der Jugend, die eine wichtige Zielgruppe für die neue Ausstellung darstellt, wäre sicher interessant zu erfahren, dass es im Heizungskeller des Josef-Krankenhauses eine illegale Druckerei gab. Die Bundeszentrale für polische Bildung schrieb bei der Vorstellung der alten Oberhausener Gedenkhalle: „Die jugendlichen Kommunisten druckten hier Flugblätter gegen die Nationalsozialisten. (…)Im November 1934 wurden 19 Jugendliche, die mit dem Heizungskeller in Verbindung gebracht wurden, verhaftet und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Sechs wurden in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht, zwei kehrten nicht mehr lebend zurück.“ Es gab sozialdemokratischen Widerstand über die Brotfabrik „Germania“ und organisierten Widerstand durch die „Sturmscharen“ der katholischen Jugend um Kaplan Rossaint, während sich der höhere Klerus anpasste.
Wenn man nach Frauen sucht, ohne die kein Widerstand möglich gewesen wäre, muss man sich bemühen in die Opfer und Schicksalskartei am Ende der Ausstellung zu suchen.
Ob die Zielgruppen, die angesprochen werden sollen, sich eine unvoreingenommene freie Meinung bilden können bleibt dahingestellt. Sie sind gut beraten, wenn sie sich noch andere Quellen erschließen. Denn der Faschismus ist nicht wie ein Wolkenbruch über Oberhausen niedergegangen. Oder, soll etwa die dürftige Beschreibung der Reichstagswahlen vom 5. März 1933 eine Antwort sein?

Der aus der Gedenkhalle verschwundene Paul Reusch.

Bei der Kritik an der umgestalteten Gedenkhalle geht es nur oberflächlich „um Emotionalität versus Rationalität“. Es geht auch nicht um Heldengeschichten. Aber um Vorbilder schon, oder dürfen das nur Fußballstars, Superstars aus dem Schaugeschäft und Operettenfiguren aus Fürstenhäusern sein?
. Die Ideengeber und Macher der neuen Gedenkhalle haben die Verantwortung einflussreicher Kreise der Großindustrie, für die Machtübertragung an Hitler, aus der Ausstellung verbannt. Sie reden von neuen historischen Erkenntnissen, die man berücksichtigt habe, ohne diese zu benennen. So fehlt auch Paul Reusch. Er gilt als einer der Unterstützer der Industrieeingabe an Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen1.
Unleugbar ist, für die führenden Köpfe der Schwerindustrie war das parlamentarische System der Weimarer Republik genau so ein Horror, wie für die nicht entmachteten Monarchisten. Paul Reusch gehörte zu den Scharfmachern, die eine Präsidialdiktatur angestrebt haben, wenn sie schon auf den Kaiser verzichten mussten. Ihre Interessen deckten sich zunächst mit denen der rechten Parteien „Deutschnationale Volkspartei“ (DNVP) und die „Deutsche Volkspartei“ (DVP). Da es ihnen an Durchsetzungskraft fehlte, wandten sie sich nach und nach Hillers „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) zu. Das Großkapital strebte nach politischen Zuständen, die ihren Profitinteressen am meisten zu sagten.
Paul Reusch gründet im Januar 1928 die Ruhrlade. Die Ruhrlade war ein geheimes Gremium, in dem fast alle Unternehmer der Schwerindustrie des Ruhrgebietes vertreten waren. Ruhrlade war nicht einfach ein Fantasiename. Er bezieht sich u. a. auf den Begriff Lade, ein Werkzeug aus dem Bergbau. Damit schob der Sprengmeister Sprengstoff in die vorbereiteten Sprengkammern. Ruhrlade war also ein Programm für die Sprengung der parlamentarischen Demokratie. Die Herrschaften mit dem harmlos klingenden Namen trafen sich in der Regel monatlich, um ihre wirtschaftlichen und politischen Strategien zu bereden. Sie spendeten jährlich bis zu 1,5 Millionen Reichsmark für die rechten Parteien.
Über die Frage, welche Parteien für sie am nützlichen sind, gab es anfangs keine einheitliche Meinung. Fritz Thyssen unterstützte die NSDAP bereits seit 1923. Paul Reuschs skeptische Einstellung zu den Nazis, wegen ihrer sozialen Demagogie, änderte sich, als der Sozial- und Demokratieabbau immer mehr auf den Widerstand der Beschäftigten und Arbeitslosen stieß.
Ab 1931 spendete die Ruhrlade massiv an die NSDAP. Im Februar 1932 traf sich Paul Reusch mit Hitler und Heinrich Himmler in der Zentrale des GHH-Konzerns. Reusch wies die Tageszeitungen die zum GHH-Konzern2 gehörten an, die NSDAP wohlwollend zu behandeln. Am 19. März trafen sie sich nochmals. Zwei Stunden waren sie im Gespräch, wie Professor Johannes Bähr, der im Auftrage des MAN-Konzerns auch die Geschichte der GHH schrieb. Dabei äußerte Reusch sein Unmut, dass Hitler und Hindenburg bei den Reichspräsidentenwahlen gegeneinander kandidierten, das sei nicht im Interesse der nationalen Sache meinte er. Im Übrigen solle Hitler seine sozialistischen Parolen aus dem Wahlprogramm streichen. „Reusch beteiligte sich nach seiner Besprechung mit Hitler an der Finanzierung einer Arbeitsstelle, die Hjalma Schacht gegründet hatte, um Hitler wirtschaftspolitisch zu beraten“3. Am 7. Januar 1933, drei Wochen vor der Ernennung Hitlers durch Hindenburg zum Reichskanzler, trafen sich Papen mit fünf führenden Ruhrindustriellen, darunter auch Reusch in Dortmund. Angeblich ging es um die Beteiligung Hitlers an der Regierung unter der Führung von Papen.4 Am 30. Januar 1933 wurde Hitler von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.
Der Historiker Johannes Bähr schrieb über Paul Reusch: „Mit seinen maßlosen Attacken gegen die Weimarer Demokratie hat er dazu beigetragen, den Nationalsozialismus den Weg an die Macht zu ebnen“. Im Frühsommer 1932 verordnete Reusch den Münchener Neuesten Nachrichten: „den Marxismus zu bekämpfen und für den Schutz des Privateigentums einzutreten.“ Reusch schrieb: „Das demokratisch-parlamentarische System von Weimar ist die letzte Wurzel vieler Übel. Es ist für Deutschland als ungeeignet abzulehnen.“5
Naziterror in Oberhausen
Bereits unmittelbar nach der Ernennung Hitlers, am 30. Januar 1933, zum Reichskanzler marschierten auch in Oberhausen SA –Trupps in Arbeiterviertel und provozierten die Bewohner, so in die Siedlung Klosterhardt und in die Dunkelschlagkolonie. Am 5. Februar überfielen Nazis Antifaschisten vor dem „Volksheim“ in der Marktstraße. Heinrich Igl wurde hierbei durch einen Lungenschuss lebensgefährlich verletzt, zwei weitere Antifaschisten durch Messerstiche verwundet. Mitte Februar wurde dann der Oberhausener Polizeipräsident Weyer, ein Mitglied der Zentrumspartei, abgesetzt und durch einen Nazi ersetzt. Am 24. Februar rissen Nazis auf offener Straße Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten ihre Abzeichen von den Kleidern. Am 26. Februar verhinderten SA und SS, unterstützt von der Polizei, eine SPD-Veranstaltung in Sterkrade. Am Sterkrader Bahnhof wurde am gleichen Tag die Milchhalle des Kommunisten Jupp Kathage zertrümmert.
Am 27. Februar 1933 inszenierter die Nazis den Reichstagsbrand. Unmittelbar danach erfolgten auch in Oberhausen die ersten Massenverhaftungen. Mehr als 200 Kommunisten wurden inhaftiert. Da das Polizeigefängnis zu klein war, wurden die Verhafteten in die Turnhalle des Realgymnasiums untergebracht. In der Nacht vom 5. zum 6. März ermordeten auf dem Schulhof, die von Hermann Göring zu Hilfspolizisten ernannten SA-Horden, die beiden Kommunisten Konrad Klaas und Leo de Longueville.
Das war die politische Atmosphäre, unter die am 5. März Reichtagswahlen abgehalten wurden. Alles Fakten, die in der neuen Gedenkhalle keinen Platz fanden.

Die GHH, Kriegsrüstung und Paul Reusch
Die GHH mit ihren Töchtergesellschaften, MAN, Deutsche Werft und ca. 20 anderen Unternehmen, war eines der wichtigsten Rüstungsunternehmen der Naziherrschaft. Ohne sie wäre die Kriegswalze über Europa nicht möglich gewesen. Die GHH lieferte nicht nur Kohle und Stahl. Ihre Töchter produzierten Panzer und U-Boot-Motoren. Die Kriegsmarine finanzierte eine zusätzliche MAN-Motorenfabrik in Hamburg. Selbst in den USA wurden MAN Schiffmotoren in Lizenz produziert, mit denen die USA ihre Kriegsschiffe ausrüstete. Auch an der Produktion von „Hitlers-Wunderwaffe“ V 1 war die GHH beteiligt. Auf den Höhepunkt der Kriegproduktion beutete der GHH-Konzern 31 500 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus, darunter viele KZ- Häftlinge. In ihren Oberhausener Betrieben waren es 11 000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die Profite flossen reichlich.
Doch nicht alles verlief für Reusch zufrieden stellend, denn Kapitalismus ohne Konkurrenz gibt es nicht, neue Akteure mischten sich ein. Durch staatsmonopolistische Eingriffe zu Gunsten der Rüstungswirtschaft und der Reichswerke „Hermann-Göring“ verlor die GHH ihr Monopol über Erzminen bei Salzgitter und in Süddeutschland. Das war ärgerlich für den Machtmenschen Reusch. Andererseits konnte er die „Kabel und Metallwerke Neumeyer AG“ per Organvertrag unter die Kontrolle des GHH-Vorstandes zwingen. Andauernde Querelen um Machtanteile und der ungünstige Kriegsverlauf reizten Reusch zu Wutausbrüchen. 1942 schmiss er seine Funktionen, Vorstands- und Aufsichtsratposten, hin. Das wirkte sich für ihn günstig beim Entnazifizierungsverfahren nach 1945 aus.
Nach dem Reusch seine Funktionen hingeschmissen hatte, zog er sich auf sein schwäbisches Landgut zurück. Er gründete den „Reusch-Kreis“, bestehend aus Industriellen und Großagrariern. Sie diskutierte über den Kriegsverlauf und neue Strategien. Der Gestapo war bekannt, dass Carl Goerdeler öfters in diesem Kreis seine Vorstellungen vortrug. Im November 1943 sprach er in Anwesenheit von Paul Reusch von der Notwendigkeit, Hitler von der Führung zu beseitigen, um zu einer Verständigung mit den Angelsachsen gegen die Russen zu kommen. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli wurde Goerdeler im August 1944 verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Paul Reusch wurde kein Haar gekrümmt. Offensichtlich hatte er einen starken Rückhalt im System. Andere hatten das nicht und wurden für viel weniger gnadenlos verfolgt. So Josef Weidenauer, Arbeiter bei der GHH Sterkrade, er wurde am Arbeitsplatz, wegen übler Nachrede gegen Führer, Militär und kommunistischer Propaganda, verhaftet. Am 3. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 14. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Keine Wirkung ohne Ursachen.

Man beginnt in der neuen Ausstellung mit der Naziherrschaft 1933 und endet mit 1945, als ob es keine politischen und materiellen Grundlagen für den Faschismus gegeben hätte.
Wegretuschiert wurde, was vor einigen Jahrzehnten noch Gewissheit war und in Wort und Bild dargestellt wurde. Wer waren die Wirtschaftsführer, die Hitler halfen und die Kriegswirtschaft organisierten?
Nach der Befreiung vom Terrorsystem gab es kaum eine gesellschaftliche Organisation, die nicht in ihrer Programmatik, die Großindustrie verantwortlich machte. Das gilt vor allen für SPD, KPD und Gewerkschaften. Selbst für die CDU6.
US-Sondertribunale in den Nürnberger Nachfolgeprozessen, verurteilten Konzernbosse wie Krupp und die Chefs der IG-Farben als Kriegsverbrecher. Sie wurden zwar später auf Drängen von Adenauer begnadigt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Bosse des Großkapitals die Hauptschuldigen und Nutznießer des Faschismus waren.
Der Geschichtsrevisionismus in der Gedenkhalle ist keine lokale Marotte in Oberhausen. Die Verantwortung der Großindustrie für die faschistische Diktatur wird zunehmend geleugnet und als Ergebnis wild gewordener Kleinbürger und Asozialer dargestellt.
Doch Max Horkheimer, Philosoph der Frankfurter Schule, brachte es bereits 1939 auf den Punkt: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“