Hitler und 27 Industrielle: Geheimtreffen am 20. Februar 1933
22. Februar 2021
1933, Geheimtreffen, Hitler, Industrielle
Der Jahrestag des Geheimtreffens vom 20. Februar 1933 blieb auch in diesem Jahr unbeachtet. Die Zusammenkunft Adolf Hitlers mit 27 Industriellen in Hermann Görings Amtssitz im Reichstagspräsidentenpalais zur Finanzierung des Wahlkampfes der NSDAP war jedoch entscheidend für den Weg in Faschismus und Krieg.
Der Organisator des Treffens war Hjalmar Schacht, ehemaliger und zukünftiger Reichsbankpräsident; – Am Treffen nahmen u. a. die folgenden Wirtschaftsvertreter teil:
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Vorsitzender des Präsidiums des Reichsverbandes der Deutschen Industrie; – Albert Vögler, erster Vorstandsvorsitzender der Vereinigte Stahlwerke AG; – Fritz Springorum, Hoesch AG; – August Rosterg, Generaldirektor der Wintershall AG; – Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied der I.G. Farben; – Hugo Stinnes junior, Vorstandsmitglied des Reichsverband der Deutschen Industrie, Mitglied des Aufsichtsrats des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats; – Fritz von Opel, Vorstandsmitglied der Adam Opel AG; – Günther Quandt, Großindustrieller, aufgrund seiner Unterstützung des Regimes späterer Wehrwirtschaftsführer; – Friedrich Flick; – August von Finck, war in zahlreichen Aufsichtsräten und Fachgremien;
In unserem Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“, Köln, 2012, herausgegeben von der VVN-BdA NRW wird über das Geheimtreffen ausgeführt:
Auf diesem Treffen wurde für den laufenden Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März 1933 ein Wahlfonds von drei Millionen Reichsmark für die NSDAP und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot beschlossen. Die NSDAP sollte zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot die notwendige Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz erreichen. Tatsächlich wurde diese Wahl zur letzten Mehrparteien-Reichstagswahl des Deutschen Reichs. 75 Prozent des Fonds ging an die NSDAP. Davon sind mehr als zwei Millionen Reichsmark direkt als Einzahlung an die NSDAP nachweisbar.1
Hitler überzeugte die anwesenden Industriellen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen Demokratie und Kommunismus: Hitler wörtlich:
»Wir stehen heute vor folgender Situation: Weimar hat uns eine bestimmte Verfassungsform aufoktroyiert, mit der man uns auf eine demokratische Basis gestellt hat. Damit ist uns aber keine leistungsfähige Regierungsgewalt beschert worden. Im Gegenteil, der Kommunismus musste sich nach dem, wie ich eingangs die Demokratie kritisiert habe, immer tiefer in das Volk hineinbohren.«
Dann erklärte Hitler, er brauche die gesamten Machtmittel des Staates, um den Kommunismus niederzuwerfen:
»Wir müssen erst die ganzen Machtmittel in die Hand bekommen, wenn wir die andere Seite ganz zu Boden werfen wollen. […] Wir müssen in Preußen [Anm.: gleichzeitige Landtagswahl] noch 10, im Reich noch 33 Mandate erringen. Das ist, wenn wir alle Kräfte einsetzen, nicht unmöglich. Dann beginnt erst die zweite Aktion gegen den Kommunismus.« 2
Hier zeichnete sich besonders Krupp von Bohlen und Halbach aus, der zu den 27 anwesenden Teilnehmern in seiner Dankesrede zum Privateigentum und zur Wehrhaftigkeit bekannte. (…)
(…) Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen »Lebensraums« konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn »ins Reich« geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Gustav Luntowski fand in seinem informativen Buch für alles eine Entschuldigung: »Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.« Diese »Fortexistenz« des Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod.3 (…)
Hitler sagte u.a. ferner: »Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will … Wenn die Wahl nicht entscheidet, muss die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen … oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert …« Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die geladenen Industriellen für den Wahlkampf der Nationalsozialisten drei Mio. RM.
Gustav Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: »Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. … Ermöglichung der Kapitalbildung. … Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.«4 (…)
Schwerindustrie wollte die Abschaffung der Demokratie und der Linken, sie wollte die Hochrüstung
Adam Tooze schrieb über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in Görings Reichstagspräsidentenpalais: »Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen.« … »Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder sich seinen Eroberungsplänen anzuschließen.«
Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »Das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken«. 5 Die »gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung«. Allein bei diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für den Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der britische Historiker Tooze: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland«.6
Tooze: »Faktisch aber waren es die Spenden vom Februar und März 1933 gewesen, die einen wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte stand.«
Am Ende seines Buches stellte Tooze die Frage, warum die Lobby der deutschen »Privatwirtschaft« in der Folgezeit den »drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv behindert.7 Tooze: Zwar widersprach die »autokratische nationalsozialistische Wende« deutlich der »internationalen Agenda« – den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten«.8
Wer an das Dogma glaubt, dass die Unterstützung der Großindustrie für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht Tooze deutlich, dass sie sich 1933 »dem politischen Wandel nicht entgegen [stellte], wie während der ersten Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als willfähriger Partner« anbot.9 Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich »etwas Widerstand« erwartet hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik, so schreibt der Autor in seiner »Ökonomie der Zerstörung«, auf »bereitwillige Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die große Zahl neuer Überwachungsbehörden – »alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde«.10
Schon vorher gab es Geheimtreffen
Die Teilnehmer des Geheimtreffens waren zumeist nach 1945 wieder aufgestiegen und es war nicht üblich, ihnen Vorhaltungen zu machen. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Schon im Januar ‚33 sammelte die »Ruhrlade« für Hitlers Wahlkampf. Einige Tage nach dem Zusammentreffen in Köln vom 4. Januar 1933 zur Machtübertragung an Hitler trafen sich die Teilnehmer des Treffens in Dortmund und Mülheim (hier auch mit Emil Kirdorf und Adolf Hitler!). Papen informierte über das geheime Konferenzergebnis von Köln. Bei diesen beiden Gesprächen wurde eine Million Reichsmark für die NSDAP bewilligt. Die Aussicht, dass es auf lange Zeit keine Wahlen mehr geben sollte, verlockte schon vor dem 30. Januar viele der großen Finanz- und Industriemänner zur Zustimmung zur Hitlerkanzlerschaft. Diese Zahlungen waren gegen die letzte Weimarer Reichsregierung und für die Diktatur bewilligt worden.
Zitiert sei aus dem Buch Hallgarten/Radkau »Deutsche Industrie und Politik«11: »Am 7. Januar – drei Tage nach dem Treffen mit Hitler bei von Schröder in Köln – machte Papen auf der Fahrt nach Berlin, wo er Hindenburg zu bearbeiten plante, in Dortmund Halt und besprach seine Pläne mit von ihm rasch zusammengerufenen Mitgliedern der ›Ruhrlade‹ – jenes geheimen Kreises ganz weniger industrieller Potentaten, der seit 1928 faktisch die Geschicke der deutschen Schwerindustrie leitete.« … »Die ›Ruhrlade‹ wusste, dass Papen, den sie als ihren politischen Sachwalter ansah, auf eine Diktatur mit Hitlers Beteiligung hinsteuerte, wie auch immer das Kabinett im Einzelnen aussehen mochte.« Berichtet wird, »dass die Sitzung in Dortmund unter anderem von Vögler und von Springorum (Hoesch) besucht war.« Die Hitler-Partei wurde »damals unmittelbar nach ›Köln‹ von einem Konsortium unter Leitung der beiden genannten Industriellen aus finanziellen Nöten gerettet«.12 Die Wertigkeit des Treffens vom 7. 4.1933 in der Villa Springorum in Dortmund war daher erheblich.13
Krupp organisierte die Finanzierung des Nazi-Regimes
Als nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 der Naziterror wütete, Kommunisten, viele Antifaschisten bereits verfolgt und getötet wurden und am 4. April 1933 die Kriegsvorbereitungen durch die Bildung eines geheimen »Reichsverteidigungsrates« begannen, war es Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der die Finanzierung der Nazis übernahm. Krupp befand sich in der Tradition seiner Familie, die bereits im 19. Jahrhundert für die preußisch-deutschen Monarchien Waffen schmiedete. (…)
Die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft war eine am 1. Juni 1933 eingerichtete Spende von der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und dem Reichsverband der Deutschen Industrie zugunsten der NSDAP. […] Angeregt wurde diese Spendenaktion für die NS-Bewegung von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Martin Bormann. Krupp führte das dazu installierte Kuratorium. Zu den Mitbegründern der »Kooperative auf Gegenseitigkeit« (bpb) gehörte der Ex-Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht. […]
Die abzuführende Spende wurde nach der Gesamtlohn- und -gehaltssumme berechnet. Damit wurden also die Lohnnebenkosten der Firmen erhöht. Die prozentuale Belastung schwankte zwischen 1 Prozent und 3,5 Prozent der gesamten Lohnkosten eines Betriebes. Bis 1945 kamen so 700 Millionen Reichsmark an Spenden zusammen.14
Krupp, IG-Farben, Flick, Thyssen und andere zahlten über die »Adolf-Hitler-Spende« der Nazipartei von 1933 bis 1945 jährlich über 60 Millionen RM. Allein die Dresdner Bank zahlte im Jahre 1934 120.000 RM.
Außer den Zahlungen für die »Hitler-Spende« machten die Rüstungsmonopole große finanzielle Zuwendungen an die SS und andere Organe des nazistischen Terrorapparates.
Zu den eifrigsten Geldgebern und Förderern der Nazi-Partei zählte Friedrich Flick. Neben ständigen Zahlungen an den sogenannten Freundeskreis Himmler – sie machten jährlich über 100.000 RM aus – zahlte Flick große Summen zur »Hitler-Spende« sowie an die örtlichen Stellen der Nazi-Partei. So überwies z. B. das zu seinem Konzern gehörende Stahlwerk Riesa in der Zeit vom 24. Februar 1933 bis Ende 1934 über 34.000 RM an örtliche SA- und SS-Verbände. Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens am 30. September 1938 sicherte der Vorstandsvorsitzende der IG-Farben, Hermann Schmitz, Hitler weitgehende finanzielle Unterstützungen zu:
»Unter dem Eindruck der von Ihnen, mein Führer, erreichten Heimkehr Sudetendeutschlands ins Reich, stellt Ihnen die IG-Farbenindustrie Aktiengesellschaft zur Verwendung für das sudetendeutsche Gebiet einen Betrag von einer halben Million Reichsmark zur Verfügung.« 15
Alle Zahlungen der Industriellen an das NS-Regime haben sich für die Kapitalisten gelohnt. Sie kamen reicher aus dem Krieg heraus als sie hineingingen.
Quellen für obige Darstellung:
Eine Dokumentation der VVN-BdA Essen von Walter Hilbig, ferner #Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007
Luntowski, Gustav: Hitler und die Herren an der Ruhr. Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt/M. – Bern 2000