Die VVN-BdA Düsseldorf erinnert an Hitlers Auftritt im Industrieclub vor 90 Jahren

29. Januar 2022

, ,

Wir dokumentieren die Rede von Gisela Blomberg vom 29.01.2022 in Düsseldorf.

Wir versammeln uns heute hier, um an das Treffen der Ruhrindustriellen mit Adolf Hitler vor 90 Jahren und an die aktive Unterstützung der NSDAP durch einflussreiche Kreise des Großkapitals zu erinnern.
Für den 26.01.1932 hatte der Industrieclub, im eigenen Selbstverständnis der Treffpunkt der Eliten, über seinen Vorsitzenden Karl Haniel, Geschäftsführer der Firma Haniel & Lueg sowie Aufsichtsratsmitglied der Oberhausener Gute Hoffnungshütte, zu einem Vortrag von Adolf Hitler mit anschließendem Souper eingeladen.

Hitler war für die der Industriellen an Rhein und Ruhr schon deshalb hoch interessant, weil aus der NSDAP eine Massenpartei geworden und sie aus den Reichstagswahlen von September 1930 als stärkste Partei hervorgegangen war.
Das Interesse der Industriellen war groß, so groß, dass auf den Ballsaal des damaligen Parkhotels, des heutigen Steigenberger Parkhotels, ausgewichen werden musste, und auch dort reichten die Sitzplätze für die 650 Teilnehmer nicht aus. Das gemeinsame 8 Gänge-Souper mit Adolf Hitler ließen sich immerhin 500 Personen nicht entgehen. Es kostete das Dreifache dessen, was ein Arbeiter pro Tag verdiente.
Aber auch auf der Straße gab es ein Gedränge, Arbeiterinnen und Arbeiter, Gewerkschafter, Mitglieder der KPD und der SPD protestierten gegen das Treffen der Industrieelite mit dem Führer der Nazipartei. Die Demonstranten waren so zahlreich erschienen, dass Hitler, begleitet von Göring und SA-Chef Röhm, alle drei dem Anlass entsprechend in einem dunklen Zwirn gekleidet, nur durch einen Nebeneingang ins Gebäude gelangen konnte. Der Eingang hier in der Elberfelder Straße 6-8 war völlig blockiert von den Protestierenden. Unter ihnen waren auch Maria Wachter und Fritz Hollstein. Manche von Euch werden sie noch kennen. Maria Wachter war mit ihrer Agit Prop Truppe „Nord-West ran“ gekommen: „Wir standen in blauen Arbeitsanzügen und roten Tüchern vor dem Industrieclub und riefen: „Hitler raus“! Dann kam die Polizei und hat uns alle zerstreut, aber nach kurzer Zeit standen wir wieder dort.“
Auch Fritz Hollstein erinnerte sich an den massiven Polizeieinsatz:
„Die Polizei, teils zu Pferd, wurde gegen uns eingesetzt“, so Fritz Hollstein, „weil wir warnend riefen: ‚Hitler – das ist Krieg!‘ Wir wurden verprügelt, manche wurden in den Keller des benachbarten Stadttheaters, des heutigen Opernhauses eingesperrt.“
Die Freiheit, die KPD Zeitung für das Rheinland und Westfalen, berichtete von Rufen wie: „Nieder mit dem Unternehmerlakai Hitler, auf die mit hundertfachem Echo „nieder -nieder“ geantwortet wurde.

Und was spielte sich drinnen ab?
Versammelt waren die wichtigen Industriebosse wie Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke (VESTAG), des weltweit 2 größten Stahlwerks mit Sitz in Düsseldorf, Fritz Thyssen (Aufsichtsratsvorsitzender der VESTAG, auch Ernst Poensgen (Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Vestag), um nur einige für Düsseldorf relevante Namen zu nennen. Laut Angaben des Industrieclubs waren Vertreter fast aller großen Unternehmen anwesend. Gustav Krupp wollte als gerade gewählter Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), des mächtigsten Industrieverbandes, nicht persönlich teilnehmen. Er bewirkte aber bei Karl Haniel, das 2 seiner Vertrauten, auch wenn sie keine Clubmitglieder waren, Zutritt zu den heiligen Hallen an diesem Abend bekamen.

Der damalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr eröffnete den Abend. 20 Jahre später zum Bundesinnenminister arriviert, setzte derselbe Lehr die Verbotsverfahren gegen die FDJ und gegen die KPD in Gang. Bis heute – Ehre wem Ehre gebührt – trägt ein Teil des Düsseldorfer Rheinufers seinen Namen.
Fritz Thyssen, der einer der ersten Hitler-Fans war, führte Hitler in den Club ein. Hitler ging es darum, sich als Führer einer Partei zu präsentieren, die die Regierungsgeschäfte im Sinne der Industriellen übernehmen kann.
Von dem Schreckwort „Sozialismus“, „nationaler“ oder auch nicht, war an diesem Abend deshalb nicht die Rede, auch nicht von Antisemitismus, dagegen viel von Zerschlagung der Arbeiterbewegung und Ausrottung des Marxismus. Ein diktatorischer Staat, so Hitler, wäre für die Privatwirtschaft weitaus förderlicher als demokratische Verhältnisse. Ein diszipliniertes, an Befehle gewöhntes Volk wäre die beste Voraussetzung für die Eröffnung „neuer Möglichkeiten“ in der Welt. Die Zuhörer verstanden sehr wohl, dass es um Aufrüstung und einen erneuten Krieg als Revanche für den verlorenen Weltkrieg ging, und waren damit einverstanden.
Über die Stärke des Applauses gibt es unterschiedliche Angaben, Protest gab es keinen, auch nicht als Fritz Thyssen die Versammlung mit dem Ausruf „Heil Hitler“ beendete.
Selbstverständlich waren mit dem Treffen im Industrieclub noch nicht alle Bedenken der deutschen Wirtschaftselite gegenüber der NSDAP beseitigt. Manche waren sich noch nicht sicher, ob die Parole eines nationalen Sozialismus nicht doch mehr war als bloße Rattenfängerei mit dem Ziel, die Arbeiter aus der KPD und SPD in die NSDAP zu ziehen. Ein wichtiger Schritt der Annäherung war mit dem Treffen jedoch vollzogen. Schon tags darauf folgten auf dem Landsitz von Fritz Thyssen Geheimverhandlungen von Thyssen, Vögler und Ernst Poensgen mit Hitler, Göring und Röhm. Und das war nur eins von mindestens 20 weiteren Treffen zwischen Hitler und den Industrievertretern vor dem 30. Januar 1933.

Aufgrund des finanziellen Potentials, das die Mitglieder des Industrieclubs repräsentierten, erwarteten die Nazis nach dem 26.01.1932 zurecht weitere großzügige Spenden für den kostspieligen Parteiapparat, für ihre beiden Bürgerkriegsarmeen SA und SS, und für die aufwendige Propaganda im Wahljahr Jahr 1932.
Es ist hier kein Platz alle offenen und verschlungenen Wege, die zur Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 führten, aufzuzeichnen.
Aber ohne die aktive Unterstützung der Großindustrie, der Großbanken, ihrer einflussreichen Verbände und der Großgrundbesitzer wäre es nie zur Machtübergabe an Adolf Hitler gekommen. Das wurde nach 1945 selbst im bürgerlichen Lager nicht mehr bestritten. Noch 1946 formulierte deshalb die CDU in ihrem Ahlener Programm:
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. … Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“
Der Kölner Bankier Kurt von Schröder, der eine besonders aktive Rolle bei der Vorbereitung der Machtübergabe an Hitler gespielt hatte, sagte vor dem Nürnberger Gericht aus:
„Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an der Macht zu sehen… Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend.“
Und der US-amerikanische Militärjurist Telford Taylor, der Hauptankläger in den Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen die IG Farben, stellte unmissverständlich fest:
„Ohne eine Zusammenarbeit der deutschen Industrie und der Nazi Partei hätten Hitler und seine Parteigenossen niemals die Macht in Deutschland ergreifen und festigen können, und das Dritte Reich hätte nie gewagt, die Welt in einen Krieg zu stürzen.“
Nach der Befreiung wurden in Düsseldorf Kommunistinnen und Kommunisten in die Stadtverwaltung und ihre Gremien aufgenommen. So gab es 1946 mit Peter Waterkortte einen Kommunisten als Bürgermeister und der Kommunist und Widerstandskämpfer Hanns Kralik wurde von den Briten als Kulturdezernent eingesetzt. Im Schulausschuss z.B. saß die bekannte Kommunistin Minne Arzt.
Im Zuge des Kalten Krieges jedoch erfolgte die Entnazifizierung und Rehabilitierung der Unterstützer des Faschismus, während alle, die sich gegen die geplante Wiederaufrüstung stellten, kriminalisiert wurden. Deren Schicksal schildert Hannah Eggerath, die selbst ein Opfer der Verfolgung wurde, eindrucksvoll in der gerade von der VVN Düsseldorf herausgegebenen Dokumentation: „POLITISCH INHAFTIERTE IN DER NACHKRIEGSZEIT AUF DER ULM“

Heute wird alles getan, um den engen Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Faschismus und Krieg vergessen zu machen, wie wir es u.a. an der Umgestaltung vieler Gedenkstätten bemerken können.

1932 hatten die Kommunisten und ihre Presse keinen Zutritt zu der Versammlung, so verlegte sich die KPD-Zeitung „Freiheit“ darauf, 10 brennende Fragen der Industriellen an Hitler zu formulieren und die Antworten den Parteidokumenten und Reden der Parteiführung zu entnehmen.
So lautet die Antwort auf die Frage, ob Hitler die „Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsführung anerkenne: „Voll und ganz. Ich weise nur auf das hervorragendste und weitbekannteste Beispiel kapitalistischer Wirtschaftsführung durch den von mir besonders verehrten Herrn Ford hin. Nicht minder hoch sind in dieser Hinsicht die wirklich großen Schöpfer unserer Schwerindustrie einzuschätzen, die Krupp, Kirdorf, Mannesmann, Thyssen, Siemens.““
Und eine andere Frage hieß:
„Sie wissen, Herr Hitler, daß unsere wirtschaftlichen Gewinne auch durch die sogenannte Sozialpolitik beeinträchtigt werden, durch die Beträge, die wir für Krankenkasse, Invalidenversicherung und Arbeitslosenversicherung abzuführen haben. Wie stehen sie zur Sozialpolitik und insbesondere zur Arbeitslosenunterstützung?
Antwort:
„Es wird nicht zu umgehen sein, daß die … Sozialpolitik fällt, die in Wirklichkeit nichts ist, als die Stabilisierung des Versorgungsstaates zur Heranzüchtung eines Lumpenproletariats … , die Arbeitslosenpolitik macht arbeitsscheu. Man kann schon von einer Arbeitsflucht reden, selbst die fleißigsten Elemente werden angesteckt.“

Zurecht stellen wir uns heute gegen die AfD – eine Partei, in der faschistische Kräfte zunehmend an Einfluss gewinnen. Aber wie würden solche Fragen heute denn – natürlich nicht in aller Öffentlichkeit, sondern vor einem mit dem exklusiven Industrieclub vergleichbaren Gremium – von den Parteien beantwortet, die die jetzige wie die vorherige Bundesregierung stellen? Würden sie grundsätzlich andere Antworten geben?
Nein, solange die Parteien des sogenannten „demokratischen Spektrums“ in der Lage sind, die Bevölkerung still zu halten, bedarf es der AFD noch nicht. Sie hilft dazu, das gesamte politische Klima nach rechts zu drücken, sie ist aber noch nicht die notwendige Alternative für die wirklich Mächtigen in Deutschland. Das lässt sich schon daran ablesen, dass die größten Spenden vor der Bundestagswahl 2021 an die FDP, die CDU und – nicht zu vergessen – an die Grünen gegangen sind.
Also an die ehemalige Friedenspartei, die sich heute im Namen einer „regel- und wertbasierten Außenpolitik besonders stark macht für eine verschärfte Einkreisung Russlands – und jetzt auch Chinas durch die NATO.
Unsere Kundgebung gilt Hitlers Rede vor dem Industrieclub vor 90 Jahren im Januar 1932. Es kann aber auch nicht schaden, sich auch an ein Ereignis fast genau 10 Jahre später zu erinnern: Am 15. Januar 1942 war Hitler gezwungen, nach der Niederlage in der Schlacht um Moskau der faschistischen Wehrmacht den Rückzugsbefehl zu geben. Der geplante „Blitzkrieg“ gegen die UdSSR – im Volksmund: gegen die „Russen“ – war damit gescheitert. Ein weiters Jahr später – im Januar 1943 – läutete die Niederlage von Stalingrad auch das Ende der Weltmachtpläne des faschistischen deutschen Imperialismus ein.

Gegen ihr Wiederaufleben, jetzt im „transatlantischen Bündnis“ mit den USA, müssen wir uns heute wehren.
Mehr denn je braucht es eine starke Friedens- und antifaschistische Bewegung!

Gisela Blomberg