Braune Erben enterben

6. Januar 2024

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Ulrich Sander über die Schuld der Wirtschaftseliten im NS-Staat, Geschichtsrevisionismus und Gedenkstättenarbeit

Interview des Neuen Deutschland: Karlen Vesper 13.02.2023

ND: Im Rat der Stadt Dortmund ist ein Bürgerantrag zum Erhalt einer Ausstellung über Widerstand und Verfolgung 1933 bis 1945 nicht auf Zustimmung gestoßen. Wieso das denn?

US: Das fragen wir uns auch.

ND: Wer sind »wir«?

US: Eine Gruppe aus 15 Pädagogen, Angehörigen von Widerstandskämpfern und Zeitzeugen der Nazizeit sowie weiteren Demokraten und Antifaschisten, die sich zivilgesellschaftlich für die Erinnerung an die Verbrechen des deutschen Faschismus engagieren. Der Stadtrat will nicht nur die von uns mitgestaltete Ausstellung in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache durch eine neue ersetzen, er will auch die neue Ausstellung auf die Geschichte des alten Dortmunder Polizeigefängnisses beschränken, in dem in den Jahren der Hitlerdiktatur mehr als 66 000 Menschen inhaftiert, gefoltert und schwer misshandelt worden sind. Es soll nicht mehr die gesamte Geschichte des NS-Regimes in der Stadt vermittelt werden.

ND: Die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache wurde 1992 eröffnet. Was haben Sie gegen die Neugestaltung einer seit 30 Jahren besehenden Ausstellung einzuwenden?

US: Wir befürchten, dass mit dem Abbau der jetzigen Ausstellung die Namen der frühen Förderer der NSDAP und Profiteure des faschistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieges verschwinden werden und damit auch die entscheidende Frage getilgt wird: Wie konnte es dazu kommen, wie kann solches künftig verhindert werden? Um künftiges Unheil zu verhindern, genügt es nicht, der Opfer zu gedenken, es müssen auch die Täter und Hintermänner benannt werden, nicht nur die Gestapo- oder SS-Schergen, sondern auch die Vertreter der Elite, vor allem der wirtschaftlichen wie Fritz Thyssen, die Krupps und Quandts oder Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke, der beim Industriellentreffen am 7. Januar 1933 in Dortmund dabei war, als man besprach, wie man Hitler an die Macht hievt. Im Krieg war Vögler dann Generalbevollmächtigter für die Kriegs- und Rüstungsproduktion im Ruhrgebiet. Er finanzierte die NSDAP bereits 1924 und war Mitglied des sogenannten Keppler-Kreises, einem Freundeskreis um den »Reichsführer SS« Heinrich Himmler.

ND: Und Sie sind sich sicher, dass in der vom Stadtrat gewollten neuen Ausstellung er und die anderen Industriellen, die Hitler protegierten, nicht genannt werden sollen?

US: Ja, das hat die Verwaltung am 7. Februar 23 beschließen lassen. Sie nimmt vor allem Anstoß am derzeitigen Themenraum »Die Schwerindustrie setzt auf Hitler«.

ND: Mit welcher Begründung?

US: Es wird behauptet, die Aussagen dort gegen Vögler, Springorum, Kirdorf und Co. entsprächen nicht mehr dem neuesten Forschungsstand. Das Gegenteil ist richtig. Es tauchen immer wieder neue Beweise auf für die immense Schuld der Dortmunder Industriellen, vorgebracht von international renommierten Forschern. Der namhafte britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze hat solche beispielsweise in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel »Ökonomie der Zerstörung« aus dem Jahr 2007 aufgelistet. Man könnte auch auf die Publikationen des Franzosen Eric Vuillard »Die Tagesordnung«, 2017 ausgezeichnet mit dem Prix Concourt, und »Braunes Erbe« des Niederländers David de Jong, erschienen im vergangenen Jahr, verweisen. Der Dortmunder Stadtrat hingegen stützt sich auf eine veraltete Darstellung eines US-amerikanischen Professors, Henry Ashby Turner, von 1985. Darin wird die wesentliche Beteiligung der Industrie und Finanzwelt an der Etablierung und Praktizierung des Naziterrors bestritten – mit der verblüffenden Begründung: »Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen.«

ND:Das ist doch eine korrekte Feststellung.

US: Sie war von Turner aber nicht so gemeint, wie Sie dies jetzt vermutlich interpretieren, sondern vielmehr als Schutzbehauptung zur Wahrung des kapitalistischen Systems formuliert. Wenn man die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache von all den Fakten reinigt, die eindeutig, mit Namen und Adressen, die Verbrechen und Verbrecher belegen, käme dies einer Rehabilitierung der im Nürnberger Prozess der Alliierten 1945/46 gegen die Nazi- und Hauptkriegsverbrecher Verurteilten gleich. Vögler wäre dort wohl auch angeklagt worden, wenn er nicht 1945 vorgezogen hätte, seinem Leben ein Ende zu bereiten.

ND: Hat der Dortmunder Stadtrat ohne wissenschaftliche Beratung entschieden?

US: Er vertraut Mitarbeitern des Stadtarchivs, die es offensichtlich nicht abwarten können, dass der Raum in der Ausstellung zur Verantwortung der Schwerindustriellen entfällt. Es wurde bereits ein neuer, knapp gefasster Katalog herausgegeben. Darin wird Franz von Papen und nicht Hitler als derjenige angegeben, der vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 mit der Regierungsbildung beauftragt worden sei. Am Ende des schmalen Heftes heißt es irreführend: »Der Kurzführer basiert inhaltlich weitgehend auf der Dokumentation bzw. dem Ausstellungskatalog, der (bisher) herausgegeben worden ist. Manche Angaben im Kurzführer unterscheiden sich von denen in der Ausstellung. Dies ist ggf. dem aktuellen Stand der historischen Forschung geschuldet.«

ND: Merkwürdig, am vergangenen Freitag hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Auftakt eines Veranstaltungszyklus zum 150. Jahrestag der »Villa Hügel« in Essen explizit erklärt, dass »das Haus Krupp, wie wir wissen, nicht nur passiver Auftragnehmer des nationalsozialistischen Staates war, sondern es war bereits zuvor aktiver Förderer der NSDAP in den Wochen der Zerstörung der Weimarer Republik, der Ausschaltung demokratischer Parteien und freier Gewerkschaften«. Krupp habe sich bei der Finanzierung Hitlers und seiner Partei stark engagiert, und nicht nur der deutsche Diktator, auch der italienische, Benito Mussolini, waren Gast in seiner Villa. Hat der Dortmunder Oberbürgermeister nicht das gleiche Parteibuch wie Steinmeier?

US: Hat er, aber er verlässt sich auf die Mitarbeiter des Stadtarchivs und auf Wissenschaftler, die dem Zeitgeist gegen jede Kapitalismuskritik huldigen.

ND: Dortmund ist ansonsten aber eine Stadt mit vielen vorbildlichen Projekten der Erinnerung und des Gedenkens.

US: Ja, darunter das von uns erstrittene neue Mahnmal am Phönixsee, einem Freizeitpark in Dortmund, wo sich ein Zwangsarbeitslager befand.

ND: Steinmeier hat in seiner Rede am 10. Februar auch an die »ausgebeuteten und geschundenen Zwangsarbeiter« erinnert, denen sich ebenfalls der »mit Blut und Tod erkaufte Reichtum« der Krupps verdanke.

US: Jetzt hat es aber den Anschein, als ob sich Dortmund in die Riege jener Städte einreihen will, die das Gedenken von Kritik an den ökonomischen Eliten in Deutschland befreien will. Das geschah bereits in Gedenkstätten in Oberhausen, in Essen und auch in der Wewelsburg, der ehemaligen SS-Kultstätte, in der auch der Freundeskreis von Himmlers SS tagte. Dem vom Industriellen Wilhelm Keppler, später selbst ein SS-Brigadeführer und 1938 als Staatssekretär im Auswärtigen Amt maßgeblich an der Zerschlagung der Tschechoslowakei beteiligt, gegründeten »Studienkreis für Wirtschaftsfragen« hatten Personen angehört, die in der Nachkriegs-BRD eine führende Rolle spielen sollten.

ND: Ist diese Kehrtwende, nicht mehr von Hitler-Protegés unter deutschen Industrie- und Finanzmagnaten zu sprechen, eine speziell nordrhein-westfälische?

US: Sicher nicht. Es gibt keine Fördermittel für ein Gedenken, das den Geschehnissen wirklich auf den Grund geht. Und so heißt es dann auch im Münchner NS-Dokumentationszentrum, in dem die Grundfinanzierung der NSDAP durch reiche Hitler-Fans durchaus vermerkt wird: »Die Partei wurde zwar von Teilen des Bürgertums und der Industrie unterstützt, zentral für ihren Aufstieg waren aber die Spenden- und Einsatzbereitschaft ihrer Mitglieder.« Das ist Geschichtsrevisionismus vom Feinsten.

ND: Man bemerkt diesen Eifer überall?

US: Ja, Kapitalismuskritik wird als Verfassungsbruch eingestuft. Das mussten und müssen gerade wir von der VVN-BdA immer wieder erleben. Wir aber sagen: Kapitalismus ist kein Verfassungsprinzip. Natürlich: Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber in Deutschland ist es so gekommen. Und es kann wieder geschehen. Deshalb seien wir gewarnt. Und darum wollen wir auch, dass bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit nichts geschönt oder verharmlost wird. Schauen wir uns doch heute um: Einer der reichsten Männer Deutschlands, Bankier Baron von Finck, hat Gelder für die AfD bereitgestellt, deren Führungspersonal teils selbst vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextrem erkannt worden ist. Die ehemalige Zyklon B-Produzentin und IG Farben-Partnerin Degussa macht Geschäfte zugunsten der AfD. Aus der Schweiz fließen der AfD bekanntlich Mittel schwerreicher Kreise zu. Die AfD bekommt als im Bundestag und Landesparlamenten vertretene Partei zudem reichlich staatliche Mittel, demnächst wohl auch Stiftungsgelder.

ND: Nun kann man aber die Weimarer Republik und die heutige Berliner Republik nicht gleichsetzen …

US: Man kann aber bedrohliche Entwicklungen vergleichen. »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland«, schrieb Paul Celan in seinem Gedicht »Todesfuge« 1948. Und dieser Meister hieß fast 100 Jahre lang Krupp. Heute sitzen die Meister von Tod und Verderben vor allem in den Vorständen von Rheinmetall. Das weitere Erstarken der AfD löst berechtigte Sorgen aus, die Militanz und die Aufrüstungsforderungen ehemaliger Kriegsdienstverweigerer bei den Grünen und Sozialdemokraten heute allerdings auch. Zur dpa-Meldung über Steinmeiers Rede in der ehemaligen Villa der Krupps möchte ich noch sagen: Die darin gemachten Ankündigungen kritischer Firmengeschichtsschreibung sind wohlfeil. Solche gibt es auch bei Tengelmann in Essen. Krupp hat sich nicht an wirklicher Zwangsarbeiterentschädigung beteiligt, aber an der Hochrüstung in der BRD sehr wohl, obwohl der Konzern solcher kurz nach dem Krieg abschwor. Wenn es Gerechtigkeit im Land gäbe, müssten alle Erben der Profiteure des faschistischen Raubkrieges und der Zwangsarbeit im Naziregime enterbt werden. Es kann doch nicht sein, dass das geraubte Gut bei den Erben verbleibt. Sie sind in meinen Augen gewöhnliche Hehler.

ND: Die braunen Erben enterben – ein frommer, naiver Wunsch?

US: Nein, müsste er nicht sein. Unglaublich, aber wahr: Man vertraut heute beispielsweise den Nachkriegsschutzbehauptungen von Günther Quandt, er habe keinen Krieg gewollt. Dem steht jedoch dessen Aussage gegenüber: »Während man draußen wähnte, dass wir Kochtöpfe machen, bereiteten wir schon im Jahr 1934 des Führers Krieg vor.« Warum kam Quandt nicht in Nürnberg vor Gericht? Dazu heißt es im Buch von David de Jong: »Als das Hauptverfahren in Nürnberg zu Ende gegangen war, wurde immer deutlicher, dass es keinen zweiten, von den Alliierten gemeinsam geleiteten und gegen deutsche Geschäftsmänner gerichteten Prozess geben würde.« Zum einen hätte der Freispruch für Bankier Hjalmar Schacht einen negativen Präzedenzfall geschaffen, zum anderen machten sich die Westalliierten Sorgen über einen »sowjetisch dominierten, antikapitalistischen Schauprozess«. Und so nahm man im Westen mit Beginn des Kalten Krieges Abstand von einer Aufklärung über die wahre Rolle der Eliten im NS-Regime.

ND: Was ist zu tun?

US: Ich wünschte mir, dass überall im Land anklagende Schilder an den heutigen und früheren Firmengebäuden der Quandts, aber auch der Krupps, Oetkers, Flicks und all der anderen angebracht werden würden. Deren unrühmliche Rolle bei der Etablierung der Hitlerdiktatur darf nicht in Vergessenheit geraten. Darauf hat vor zwei Wochen in dieser Zeitung ja auch dankenswerterweise der Jenenser Faschismusforscher Manfred Weißbecker hingewiesen.

ND: Solche Schilder dürften für die braunen Erben aber nur Mückenstiche sein.

US: Trotzdem. Konsequenter wäre natürlich, den Erben die räuberisch erworbene Beute abzunehmen, um sie den Hinterbliebenen der Opfer zu geben, der Ermordeten und der Arbeitssklaven. Das bundesdeutsche Erbrecht ist ungerecht, weil es Lohn für nicht geleistete Arbeit ist. Aber wenn dieses sogar aus Geraubten erwächst – was dann? So wie die gestohlenen Kunstwerke den früheren Besitzern und ihren Erben zurückzugeben sind, so sollten den Erben der Zwangsarbeiter die Lohnnachzahlungen gewährt werden, die nie erfolgt sind. Die Erben der geraubten Erträge aus Zwangsarbeit müssen zugunsten der Nachkommen der Opfer enteignet werden. Und ebenso müssen die Nachkommen der Opfer von Massakern der SS und Wehrmacht, etwa in Griechenland und Italien, entschädigt werden. Es ist höchste Zeit. +++

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Der Journalist Ulrich Sander, geboren 1941 in Hamburg, war 1960 Mitorganisator des ersten deutschen Ostermarschs und wurde im Folgejahr Mitglied der 1956 verbotenen KPD, ab 1968 dann der DKP; er gehört heute der Linkspartei an. Bis 2020 war er Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Sensibilisiert für die NS-Verbrechen seit seinem Besuch der Schule am Bullenhuser Damm, wo sich in der NS-Zeit ein KZ und eine Hinrichtungsstätte befanden, befasste er sich publizistisch und kuratorisch mit der Aufarbeitung faschistischer Vergangenheit; jüngste Bücher: „Die Macht im Hintergrund – Militär und Politiki in Deutschland seit Seeckt“, „Mörderisches Finale, NS-Verbrechen bei Kriegsende“, „Von Arisierung bis Zwangsarbeit, Vebrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 – 1945“ und „Der Iwan kam bis Lüdenscheid. Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit“ (alle bei PapyRossa).

Büchergilde-Salon zu „Braunes Erbe“ von David de Jong

17. Dezember 2022

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Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945 harren weiter der Sühne

6. November 2022

Ulrich Sander, Mitglied des Bundesausschusses der VVN-BdA, referierte auf einer Begleitveranstaltung der VVN-BdA zur Ausstellung „Verfolgung und Widerstand“ am 3. November 2022 im Kunstmuseum von Solingen. Sein Thema lautete „Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“. Wir dokumentieren sein Referat.

Vor zwei Jahren kam es am 8. Mai zu einem Rededuell zwischen dem damaligen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und Verena Bahlsen, der Keksfabrikanten-Erbin und Jungunternehmerin. Kühnert verteidigte seinen Vorstoß, Konzerne enteignen zu wollen. „Ich wundere mich, dass oft so revolutionär im Kleinen gedacht wird, aber eben nicht im Großen. Start-ups diskutieren über Kicker-Tische für Mitarbeiter, aber nicht über Teilhabe am Unternehmen“, ärgerte sich der Juso-Vorsitzende (lt. Handelsblatt). Frau Bahlsen antworte: “Ich bin überhaupt nicht gegen Kapitalismus. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen und ich freue mich auch drüber.“ Sie wolle sich bald eine Segeljacht kaufen. Diese Äußerung sorgte im Netz für heftige Kritik. Verena Bahlsen habe wohl vergessen, worauf ihr ererbter Reichtum gründet: Nämlich nicht auf eigener Arbeit sondern auf Zwangsarbeit im Kriege. Sie antwortete: Die Zwangsarbeiter, die Bahlsen im Kriege beschäftigte, seien ordentlich entlohnt worden. Das Unternehmen habe sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Da sind keine Schulden zurückzuzahlen? Diese Äußerung war eine Frechheit. Denn es gilt: Die Sklavenhalter müssen endlich zahlen! Sie müssen gegebenenfalls enteignet werden, um Lohnnachzahlungen an die Opfer und auch an die Hinterbliebenen der Opfer zu leisten.
Es handelt sich um Lohnraub an den 15 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, der rückzahlbar ist auch an ihre Erben. Vorbild sollten die Regeln um Kunstraub sein. Es ist heute noch üblich, und das ist gut so, Kunstgegenstände danach zu fragen, ob sie nicht Raubkunst darstellen, geraubt von den Nazis und zurückzugeben an die früheren Besitzer oder ihre zumeist jüdischen Erben. Ich finde, es sollte auch nach Lohnraub gefragt werden und wie dieser wiedergutzumachen ist.
Erinnerung an die Mahnung von Ignaz Bubis
Der damalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, schrieb vor rund 25 Jahren im „Handelsblatt” über die deutschen Unternehmer: „Sie haben leider sehr wenig getan, um ihre eigene NS-Vergangenheit und ihre Rolle in dem Terrorregime aufzuarbeiten. Sie haben diese Zeit zumeist verdrängt.” In den Publikationen der Unternehmen habe man die Zeit, in der Zwangsarbeiter für die Firmen eingesetzt worden seien, nur gestreift. Dabei hätten letztlich alle deutschen Betriebe in irgendeiner Form Zwangsarbeiter beschäftigt, „von denen Hunderttausende ihr Leben lassen mussten.” (Handelsblatt, 24. 4. 95)
Die verschiedensten Berufsgruppen haben im Laufe der Zeit ihre Vergangenheit durchleuchtet – dies besonders zu der Zeit nach der Jahrtausendwende, da niemand von den Schuldigen noch lebte. Nur die Unternehmer nicht. In aller Unschuld hat im Rahmen der Bahlsen-Debatte einer der leitenden Herrn des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, den Ex-Juso-Vorsitzenden Kevin Kühner darauf aufmerksam gemacht, dass die Familie Quandt vor Jahren den großen Anteil an BMW rechtmäßig erworben habe. Und die Kritik an BMW sei demzufolge unzulässig. Keiner fragt: Woher stammt das Vermögen der Quandts?
Der damalige Juso-Vorsitzende hatte seine Unternehmenskritik an BMW und damit an der Familie Quandt festgemacht. Beide, BMW und Quandt, müssen im Zusammenhang mit dem Ausbeutungsprogramm der Nazis „Vernichtung durch Arbeit“ benannt werden. Quandt-Betriebe a la Vartha gab es im ganzen Reich. Ohne seine Akkus und Batterien rollte kein Panzer. Ohne diese Panzer wäre Quandt nie so reich geworden. Nie geklärt wurden die Todesfälle, die Quandt verschuldete. Dazu gehört der Mord an 1000 Zwangsarbeitern in einer Feldscheune von Isenschnibbe bei Gardelegen im April 1945. Die Opfer waren vom Qandt-Konzern in Hannover auf den Todesmarsch geschickt worden. Man wollte die Opfer wegschicken und nicht mit ihnen gesehen werden. Das taten viele Wehrwirtschaftsunternehmer so – auch z.B. Krupp.
Über die Ausbeutung der Arbeiter und der Sklaven
Worauf fußt die Ausbeutung der Arbeiter/innen und Zwangsarbeiter/innen? Laut Karl Marx ist es so: Die arbeitenden Produzenten arbeiten mit den Produktionsmitteln des Kapitalisten, und es arbeiten die Produzenten eine bestimmte Zeit des Arbeitstages für sich und den Rest des Arbeitstages für den Kapitalisten. Dies ist die kapitalistische Produktion des Mehrwerts und des Profits. Die Arbeiter schaffen alle Werte, die Nutzwerte und den Mehrwert, über die sie jedoch nicht verfügen können. In der Zeit der Nazidiktatur wurden auch solche Arbeiter eingesetzt, die keinen oder kaum einen Zeitabschnitt des Tages für sich arbeiteten: die Zwangsarbeiter. Sie schufteten fast nur für den Profit. Wie Sklaven. Wie Sklaven z.B. der Quandts, der Flicks, der Krupps und Thyssen, auch Hoesch und Vögler (VStW).
Zu Solingen
In Deutschland befanden sich in der Zeit zwischen 1939 und der Befreiung vom Faschismus 1945 insgesamt über 15 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Verschleppt aus den besetzten Gebieten. In Solingen mussten während des gesamten zweiten Weltkrieges 16.000 Menschen Zwangsarbeit leisten. Mehr als die Hälfte der Zwangsarbeiter in ganz Deutschland wie auch in Solingen kamen aus der Sowjetunion. An ihnen wurden grausame Verbrechen verübt. Wir als VVN-BdA haben die Kampagne „Verbrechen der Wirtschaft“ gestartet und die Tatorte diese Verbrechen in NRW markiert. Auf einer Karte im Internet http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de/ findet man den Eintrag zu Solingen mit diesem Artikel:
Die meisten der sowjetischen Zwangsarbeiter wurden von der faschistischen deutschen Armee aus ihren Dörfern und Städten entführt und in Viehwagons nach Deutschland gebracht. Oft wurden sie wie auf einem Sklavenmarkt an örtliche Unternehmer und Bauern verkauft. In Solingen mussten sie in fast 500 Betrieben schwerste Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen verrichten. Die Firmen Rautenbach, Kronprinz, die Stadtverwaltung Solingen und die Zwillingswerk KG waren die vier größten Abnehmer von Zwangsarbeitern in Solingen. Die Zwangsarbeiter hausten unter den erbärmlichsten Bedingungen in Baracken, die Ernährung war katastrophal, die Frauen und Männer die Schwerstarbeit leisteten, mussten Hunger leiden. Ein bisschen Rübensuppe und 200g Brot war die Tagesration. Es gab Misshandlungen Hass und Diskriminierungen gegenüber den Fremden. Die einheimische Bevölkerung konnte nur unter Strafandrohung helfen. Es war den Zwangsarbeitern auch verboten sich bei Bombenangriffen in den Schutzkellern in Sicherheit zu bringen.“ Weiter:
„Über die Gewinne und Verluste Solinger Unternehmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, gibt es wenige Zahlen. Ein Fall ist bekannt, die Firma Kieserling und Albrecht hatte im Jahr 1939 ein Gewinn von 870.000 RM, über 900.000 RM im Jahre 1942, 2 Millionen RM im Jahre 1943, es steigert sich der Gewinn, der auch aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern möglich wurde, auf 2,5 Millionen im Jahre 1944.“
Massiver Förderung Hitlers seit den Zwanziger Jahren
Gehen wir fast 100 Jahre zurück in die Vergangenheit. Fragen wir:
Wie war es möglich, dass Hitler und seine Nazipartei innerhalb weniger Jahre von einer politischen Splittergruppe zu einer politisch einflussreichen Kraft werden konnten? Wie war es möglich, dass Hitler schließlich Anfang 1933 die Reichskanzlerschaft angetragen werden konnte? Wie war es möglich, dass das faschistische Regime an der Macht innerhalb von sechs Jahren in der Lage war, einen Krieg zu führen und halb Europa zu unterjochen? Wie war es möglich, dass die größten Teile des deutschen Volkes Hitler auch dann noch folgten, als die Niederlage deutlich zu erkennen war?
Schon Ende 1926 bekam Hitler im Essener Kruppsaal die Gelegenheit, vor über 200 Industriellen des Ruhrgebiets sein politisches Programm („neue Wege zur Macht“) vorzustellen. Es mag ein historisches Detail sein, zeigt aber deutlicher als vieles andere, welche Wertschätzung die NSDAP in Industrieellenkreisen besaß, dass Hitler seit 1926 für seine umfangreichen Reisen Geldmittel und den Komfort der Unternehmen nutzen konnte. Wenn er auf dem Essen-Mülheimer Flughafen ankam, wurde er mit Chauffeur der Fuhrparks Thyssen, Krupp oder Kirdorf abgeholt. Dass es nicht bei diesen symbolischen Annehmlichkeiten blieb, zeigten die Herren des Steinkohle-Syndikats, die schon ab Januar 1931 für längere Zeit pro verkaufter Tonne Kohle 5 Pfennig als Spende für die NSDAP abgaben. Zudem wurde der Aufbau der SA im Ruhrgebiet mit der Bereitstellung von Immobilien der Fa. Bochumer Verein und erheblichen Geldmitteln der Schwerindustrie gefördert. Die NSDAP konnte durch große Zuwendungen von Thyssen und Kirdorf ihre Parteizentrale in München kaufen, und in verschiedenen Ruhrgebietsstädten erhielt die Partei kostenfreie Immobilien für ihre Büros. Es sind solche Details, die die Arbeit von Günter Gleising und anderen Rechercheuren aus unserer VVN-BdA NRW auch für erfahrene Historiker spannend und lesenswert machen, schreibt dazu Dr. Ulrich Schneider, Historiker und VVN-BdA-Bundessprecher.
Hitlers Aufstieg und der seiner Partei wäre ohne die Unterstützung der Wirtschaft nicht möglich gewesen. Besonders an Rhein und Ruhr fand er schnell große Hilfe und finanzielle Gönner. Dabei kam zusammen, dass sich das Interesse der Wirtschaft an der Profitmaximierung mit Hitlers politischem und ökonomischem Programm, vor allem mit seiner Kriegsvorbereitung traf. In der Autark-und Rüstungspolitik sahen viele Industrielle frühzeitig beste Entfaltungs- und Profitmöglichkeiten.
Unsere Veröffentlichungen und Recherchen im Rahmen der VVN-BdA-Aktion „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr“ belegen auch anhand zahlreicher Fotos und Zeitdokumenten, wie es Hitler gelang, sich von 1925 an im Ruhrgebiet zu verankern und Gelder bei Industriellen einzusammeln. Im Düsseldorfer Industrieclub waren am 26. Januar 1932 über 600 hohe Wirtschaftsvertreter und Industrielle der Schwerindustrie von Hitlers Ausführungen derart begeistert, dass der Ruf „Hitler an die Macht“ immer lauter wurde. In letzten Gesprächen mit maßgeblichen Vertretern der Wirtschaft in Köln, Mülheim und Dortmund am 4. und 7. Januar 1933 wurden schließlich die Weichen dafür gestellt, dass Reichspräsident von Hindenburg die Macht in Hitlers Hände legte.
Die mahnende Bodenplatte von Köln
An diese Gespräche erinnert in Köln seit 1996 eine Tafel, die in den Boden am Hause Stadtwaldgürtel 35 eingelegt ist:
„Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“
Dieses Schild sollte Vorbild sein für andere Städte, um mahnend zu erinnern. Die VVN-BdA erinnert daran. Wir fragen: Wie konnte es dazu kommen, wie verhindern wir künftiges katastrophales Unheil? Aktuell haben wir das Wirken der reaktionärsten und auch der kriegerischsten Kräfte zu sehen.
Alexander Gauland, lange ein Vorsitzender der AfD und einer der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, darf ohne großen Aufschrei der Öffentlichkeit sagen: “ … haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Zu diesen Leistungen gehörten die Gefangennahme von Millionen Zivilisten als Zwangsarbeiter. Nach wie vor wird die Mitwirkung der Wehrmacht an den Hitlerschen Verbrechen heruntergestuft. Es war aber nicht nur die SS Schuld an Holocaust und Vernichtungskrieg, nur mit Hilfe der Wehrmacht konnten die Verbrechen geschehen.
Ich möchte zusammenfassen:
Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber – um ein Wort von Primo Levi zum Holocaust leicht abzuwandeln – bei uns ist es geschehen, und es kann wieder geschehen. Heute geht es nicht um die Feststellung aus der Gedenkstätte Steinwache in Dortmund: Die Schwerindustrie setzt auf die Nazis. Es geht um dies: Die Rüstungsindustrie setzt auf die größte Koalition, unterstützt von dem Oligarchen und BlackRock-Rüstungs-Industriellen Friedrich Merz. Ampel und Union vertreten vor allem die Interessen der US-Rüstungskonzerne, der deutschen Waffenlieferanten, der Militärs, aber auch jene der deutschen wie Rheinmetall.
Erinnern wir uns: Erich Kästner hat vor 65 Jahren gewarnt: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“ Was war 1928? Zwischen 1928 und 1930 machte die NSDAP bei Wahlen einen Sprung von 2,6 % der Stimmen auf 18 %, und 1932 waren es dann 37 %. Die Partei für die heutigen Nazis, die AfD, hat an Wählern den Stand der NSDAP von 1930. Allerdings hatte die NSDAP damals weit bessere Beziehungen zu den ökonomischen Eliten als die AfD heute. Doch wenn die umfassende Krise von heute nicht anders überwunden werden kann, dann ist auch das enge Bündnis der Wirtschaft mit der Partei der Nazis wieder denkbar.
Ein Unterschied besteht heute ferner zu den Verhältnissen der dreißiger Jahre. Es existiert eine gut funktionierende staatliche Parteienfinanzierung und Wahlkampfkostenerstattung. Die AfD als Partei für Nazis bekommt reichlich staatliche Mittel, demnächst wohl auch Stiftungsgelder a la Friedrich-Ebert-Stiftung. Ein Vorteil für die Rechten gegenüber früher besteht auch darin, dass die Militärkaste ganz ungeniert in der AfD wirken darf; dies war der Reichswehr verwehrt, jedoch wirkten viele Offiziere insgeheim in der Nazipartei.
Dennoch: Insgesamt gilt aktuell: Die Großwirtschaft ist heute mit dem Kapitalismus der parlamentarischen Demokratie bestens bedient. Die Regierungsparteien sind ihr zu Diensten. Die Kontinuitäten funktionieren.
„… bis sie vor ihren Richtern stehen“
In wenigen Wochen haben wir den 90. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler. Ihm folgten zwölf Jahre mit Jahrtausendverbrechen, bis zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus. Der 8. Mai 1945 ist und bleibt aber für AntifaschistInnen in allen Teilen der Welt das „Morgenrot der Menschheitsgeschichte“ (Peter Gingold). Die Erinnerung an die Opfer der faschistischen Barbarei und die Kämpfer/innen gegen den Faschismus ist für uns alle ein bleibendes Anliegen. Und auch: Die Lehren nie vergessen. So diese:
Wenige Tage nach Beginn seiner Kanzlerschaft traf Adolf Hitler die Führung der Reichswehr, und sie legte zu seiner großen Befriedigung einen Plan vor, den sie seit 1925 verfolgte: Den Ausbau der Armee in wenigen Jahren bis zur Kriegsfähigkeit.
Und heute? Wenige Tage nach Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine legte Kanzler Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede einen Plan der umfassenden Militarisierung mit 100 Milliarden Sondervermögen, richtig muss es heißen: Kriegskredite, für die Bundeswehr und Aufstocken des Rüstungsetats am 2 Prozent des Bruttosozialprodukts vor – die Militärführung hatte wieder gute Vorarbeit geleistet. Deutschland auf dem Weg zur führenden Macht im Kampf Westen gegen Osten/Süden im Weltmaßstab.
Bei ihrer Befreiung 1945 schworen die überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Er schließt mit dem Satz: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht.“
Dass sie vor den Richtern der Völker stehen, das ist den Herren der Rüstungskonzerne wie Rheinmetall, wie Quandt und Co. bisher erspart geblieben. Wir brauchen eine große Anklage, damit im Interesse der Millionen Opfer Recht gesprochen wird. Und ihr Spruch kann nur lauten: Schuldig. Den Schuldigen muss das Handwerk gelegt werden.
Ein für alle Mal.
Das war auch das Anliegen der Potsdamer Konferenz der Alliierten von 1945. Im Sinne der dort gesprochenen Verurteilung des deutschen Militarismus wurde vom Parlamentarischen Rat in das Grundgesetz 1949 die Absage an Militär und Krieg hineingeschrieben. Nur sieben Jahre später wurde dann die Bundeswehr im Grundgesetz verankert. Zu fordern ist die Wiederherstellung dieser antimilitaristischen Verfassungsprinzipien. Und auch anderer Prinzipien, so die der Artikel 14 und 15, ferner Verbot der Angriffskrieg und Anwendung des Artikels 139 für die Befreiung von Nazitum und Militarismus.
Manche Leute möchten „Verfassungsbruch“ schreien, wenn von diesen Artikeln die Rede ist. Aber es gilt, die Verfassung wiederherzustellen.

Zwangsarbeit im Ruhrbergbau

17. Juli 2022

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Über ihre Nachforschungen nach sowjetischen Kriegsopfern, die im Ruhrgebiet und im Rheinland während des 2. Weltkriegs umgekommen sind, berichtet uns das VVN-BdA-Mitglied Hannelore Tölke aus Dortmund.

Am Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen zeigt sich, wie der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion auf dem Gebiet des Deutschen Reiches fortgesetzt wurde, wer von der Zwangsarbeit profitierte hat und wie im Ruhrgebiet sowjetischen Kriegsgefangenen gestorben sind. Das Gedenkbuch des Historischen Vereins Ar.kod.M zeigt den Weg von 44 sowjetischen Kriegsgefangenen durch die Lager, ihr Leben und ihr Sterben.

https://kodaten.4lima.de/category/gedenkbuch

Die deutschen Schwerindustrie profitiert
Um den Energiebedarf für die Stahlwerke und Rüstungsbetriebe zu sichern und den Arbeitskräftemangel, der durch die zunehmende Einberufung von Bergleuten zur Wehrmacht entstanden war, zu beseitigen, forderte die Reichsvereinigung Kohle bereits im Sommer 1941, sowjetische Kriegsgefangene verstärkt im Bergbau einzusetzen. Die Reichsvereinigung Kohle wurde im Frühjahr 1941 auf Vorschlag der Industrie gegründet, beteiligt waren u.a. Alfred Krupp und Friedrich Flick. Vorsitzender wurde Paul Pleiger, der aus Witten stammte. Er war ein sehr hoher Nazifunktionär und wurde nach dem Krieg wegen Verbrechen gegen den Frieden, Plünderung und Beteiligung an Zwangsarbeiterprogrammen angeklagt und zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verteilt. Er kam jedoch bereits 1951 frei.

Sklavenarbeit im Ruhrbergbau
Mit ihrer Forderung setzte sich die Reichsvereinigung Kohle im Sommer 1942 durch. Zur schnellen Zuweisung der Gefangenen funktionierte die Wehrmacht im Oktober 1942 das Kriegsgefangenenlager Stalag VI A im sauerländischen Hemer zu einem speziellen „Bergbaulager“ um. Bereits im Herbst 1942 wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl aus anderen Stalags in das Stalag IV A gebracht und von dort kamen sie sofort in die Arbeitskommandos auf die Zechen des Ruhrgebiets. Ohne ausreichende Ernährung, ohne geeignet Kleidung, ohne eine entsprechende Unterkunft und die notwendige Gesundheitsversorgung mussten die Gefangenen auf den Zechen schuften. Sie waren ständigen Demütigungen und Bestrafung ausgesetzt. Bombenangriffen waren sie ausgeliefert, da es ihnen nicht erlaubt war, Schutzräume aufzusuchen. Viele Gefangene kamen völlig erschöpft und krank von der harten Arbeit in die Stalags nach Hemer oder Dortmund zurück und starben in den Lazaretten.

Auch in Dortmund, u.a. auf Zeche Kaiserstuhl, die damals zu Hoesch gehörte, oder auf den Zechen der Gelsenkirchener Bergbau-AG, wurden sowjetische Kriegsgefangene in großer Zahl eingesetzt. Die Gelsenkirchener Bergbau-AG (GBAG) wurde in den 1930er Jahren als Betriebsgesellschaft für die Zechen der Vereinigten Stahlwerk AG gegründet, erster Vorsitzender des Aufsichtsrates war Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender war Gustav Knepper, der bekennender Nazi war und für seinen harten Umgang mit den Zwangsarbeitern das Kriegsverdienstkreuz erhielt. 1942 wurde Otto Springorum sein Nachfolger. Ehrenvorsitzender war der ehemalige Chef der GBAG Emil Kirdorf. In Dortmund gehörten der GBAG u.a. die Zechen Westhausen, Hansa, Minister Stein und Fürst Hardenberg.

Im Sommer 1944 schufteten rd. 94.000 sowjetische Kriegsgefangene im Ruhrbergbau. Viele verloren ihr Leben. Eine große Anzahl der auf dem internationalen Friedhof am Rennweg begrabenen sowjetischen Kriegsgefangenen ist an den unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Zechen in Dortmund und Umgebung gestorben. Ihre Namen wurden nicht mitgeteilt, sie wurden als Unbekannte begraben.
Die Gelsenkirchener Bergbau-AG, Hoesch und alle anderen Eigner der Zechen haben von der Sklavenarbeit sowjetischer Kriegsgefangener erheblich profitiert. Ebenso profitiert hat die Wehrmacht, die für jeden Gefangenen, der in der Industrie oder in die Landwirtschaft schuften musste, von den Unternehmen Geld erhielt. Über die Wehrmacht profitierte der faschistische Staat von den Gefangenen.
In der Nachkriegszeit wurden diese Menschen, die Opfer der Zwangsarbeit wurden, schnell vergessen. Nach ihnen wurde nicht geforscht, ihre Gräber wurden eingeebnet, ihre Namen wurden nicht genannt und blieben vielfach unbekannt. Das setzt sich bis heute fort, auch in Dortmund. Auf dem Internationalen Friedhof wird das Ausmaß des Sterbens und die Anzahl der sowjetischen Kriegsopfer bis heute nicht deutlich und die Verstorbenen sowjetischen Bürger:innen haben auch 77 Jahre nach dem Ende des Krieges in der Öffentlichkeit keine Namen.

Es sollte endlich darüber gesprochen werden, wie die unermessliche Ausbeutung sowjetischer Menschen geplant, organisiert und ausgeübt wurde.

Rüstungsindustrie setzt wieder auf den großen Krieg

15. Juni 2022

In der Zeitschrift Ossietzky hat Ulrich Sander über die Interessen der Rüstungsindustrie am Faschismus einst und am Krieg von heute geschrieben. Er führt aus:

Originalton Schulbuch DDR: „Die rasche Sammlung der antifaschistischen Kräfte und der schwindende Masseneinfluss der Nazis veranlasste die reaktionärsten Kräfte des deutschen Monopolkapitals und der Junker, auf die schnelle Errichtung der faschistischen Terrorherrschaft zu drängen. Namhafte Vertreter forderten von Hindenburg, die sofortige Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.“ So steht es im Lehrbuch „Geschichte 9“ des Ministeriums für Volksbildung der DDR, Ausgabe 1970, Seite 142, über die Lage im November 1932. Acht Wochen später ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.
Originalton Schulbuch BRD: nichts dergleichen, allenfalls „Aus Furcht vor dem Kommunismus und in der Hoffnung auf eine Belebung der Wirtschaft unterstützten ihn auch namhafte Industrielle mit großen geldlichen Zuwendungen.“ (Geschichte der neusten Zeit, von 1850 bis zur Gegenwart“, Seite 146, 1953, Ernst Klett Verlag Stuttgart)
Lehrer/innen aus der Bundesrepublik haben bisweilen das DDR-Lehrbuch herangezogen, wenn es um die Schilderung des Endes von Weimar ging. Sie sagten, die westdeutschen Schulbücher hätten die Rolle des Kapitals, vor allem der Rüstungsindustrie, in jener Zeit ausgeblendet.
In der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache hingegen wird zum Motiv der Industrie, Hitler zum Führer zu machen, ausgeführt: „Insbesondere versprach sich die einflussreiche Schwerindustrie von einer Aufrüstung Deutschlands Gewinne.“ Nicht ausgeblendet wird die historische „Industrielleneingabe“ an Hindenburg in der Gedenkstätte „Widerstand und Verfolgung 1933-1945« in der Dortmunder Steinwache. Noch gibt es den Raum 7 „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“. Ein Raum wie dieser ist in der heutigen BRD wohl einmalig.
Die VVN-BdA in Dortmund setzt sich seit Jahren beharrlich für eine korrekte Darstellung der Geschichte ein. Ihre Ehrenvorsitzende Agnes Vedder, die kürzlich im Alter von 95 Jahren starb, hat bis zuletzt gehofft, dass die Stadt Dortmund den Skandal der Ehrentafel für den Hitler-Finanzier Emil Kirdorf im Stadtteil Eving beendet. An anderer Stelle soll, so schrieb sie unter Bezug auf die Lehren der Geschichte, eine Mahntafel entstehen, dort, wo die Hitler-Finanziers aus der „Ruhrlade“ 1933 tagten. Sie schlug vor, „an der Grünanlage Hainallee eine Mahntafel anzubringen“. Dorthin führen regelmäßig antifaschistische Mahngänge. „Sie führen uns auch zu den Stolpersteinen für die Opfer des NS-Regimes. Wir sind der Meinung, dass es auch Erinnerungstafeln an die Täter geben sollte. Darunter jene aus der Wirtschaft.“ Deshalb setzt sich die VVN-BdA für die mahnende Kennzeichnung des Ortes der Tagung der „Ruhrlade“ im Januar 1933 zur Durchsetzung von Hitlers Kanzlerschaft ein. Begrüßt wurde die Schaffung des Mahnmals auf der Kulturinsel im Phönixsee, das die Verbrechen der Stahlkonzerne an den Zwangsarbeiter/innen aufzeigt (siehe https://steinwache-rombergparkkomitee.org/?s=Mahnmal&submit=Suchen).
Die Rolle der ökonomischen Eliten in den Schicksalsjahren 1932/33 aufzuzeigen, bedeutet, die Frage zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen?
Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber – um ein Wort von Primo Levi zum Holocaust leicht abzuwandeln – bei uns ist es geschehen, und es kann wieder geschehen. Daher seien wir wachsam! Heute geht es nicht um die Feststellung: Die Schwerindustrie setzt auf die Nazis. Es geht um dies: Die Rüstungsindustrie setzt auf die größte Koalition, geführt vor allem von dem Oligarchen und BlackRock-Rüstungsindustriellen Friedrich Merz, der insbesondere die Interessen der US-Rüstungskonzerne vertritt, aber auch jene der deutschen wie Rheinmetall.
Wir erfuhren dies: Rheinmetallchef Armin Papperger freut sich, dass die Zeiten vorbei seien, da man hier in Deutschland „in fast zwei Generationen verlernt habe, wehrhaft zu sein“. Das zitierte die Süddeutsche Zeitung am 28. April 2022 und fuhr fort: „Es mögen heute ziemlich furchtbare Zeiten sein, aber für einen Hersteller von Kriegsgeräten und seine Aktionäre sind sie lukrativ. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie lag am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine zwischen 94 und 98 Euro. Heute kostet ein Papier 215 Euro.“ Die dpa meldete am 11. Mai 22 ergänzend: „Der Panzer- und Artillerie-Hersteller Rheinmetall geht davon aus, dass er sein Geschäft mit der Bundeswehr künftig verdoppelt.“ Künftig würden es „mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr werden,“ sagte der Rheinmetall-Chef.
Die Lobbyisten der Rüstungsindustrie sitzen direkt im Bundestag. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Fürsprecherin von Waffenlieferungen größten Ausmaßes für den Ukrainekrieg, Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sitzt im Präsidium des „Förderkreises Deutsches Heer“. „In dem Kreis arbeitet die Frau mit Vertretern von Lockheed Martin, ThyssenKrupp, Airbus, Daimler, Rheinmetall, Krauss-Maffei-Wegmann, der Waffenschmiede Diehl und der französischen Thales-Gruppe zusammen,“ berichtet am 9. Mai 22 die Schweriner Volkszeitung und fährt fort: „In der ‚Gesellschaft für Wehrtechnik‘ ist Strack-Zimmermann ebenfalls im Präsidium, in der „Bundesakademie für Sicherheitspolitik‘ im Beirat.“ Der Verein Lobbycontrol erklärte: Die Gesellschaft für Wehrtechnik und der Förderkreis Deutsche Heer seien „von der Rüstungsindustrie stark beeinflusste Organisationen“, es sei kritisch zu sehen, dass dort Abgeordnete des Bundestages leitende Funktionen übernehmen. (aus Ossietzky, 10/22, dort gekürzt)

„Wie die deutsche Wirtschaft dem Faschismus zur Macht verhalf“

30. Januar 2022

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Vor 90 Jahren, am 26.01.1932, hielt Hitler eine Rede vor dem Düsseldorfer Industrie-Club im Parkhotel Düsseldorf und warb dort bei 650 Industriellen, Managern und Verbandsvertretern für seine menschenverachtenden Thesen und den Aufstieg der NSDAP. Vor dem Hotel protestieren Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen und Gewerkschafter:innen gegen die Veranstaltung.

Durch Hitlers Rede erhielt die NSDAP Unterstützung von Industriellen und konnte so ihren Einfluss weiter ausbauen. Über die Bedeutung dieser Rede für den Aufstieg des Faschismus diskutieren Ulli Sander, Journalist, Autor und Mitglied des Bundesausschusses und Maxi Schneider, Referentin für Geschichts- und Erinnerungspolitik der VVN-BdA.

Die Veranstaltung hat am 26. Januar 2022 online auf Zoom stattgefunden und ist auf dem Youtube-Kanal (siehe oben) der VVN-BdA zu sehen und bei freie-radios.net als Audiostream zu hören.

Die VVN-BdA Düsseldorf erinnert an Hitlers Auftritt im Industrieclub vor 90 Jahren

29. Januar 2022

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Wir dokumentieren die Rede von Gisela Blomberg vom 29.01.2022 in Düsseldorf.

Wir versammeln uns heute hier, um an das Treffen der Ruhrindustriellen mit Adolf Hitler vor 90 Jahren und an die aktive Unterstützung der NSDAP durch einflussreiche Kreise des Großkapitals zu erinnern.
Für den 26.01.1932 hatte der Industrieclub, im eigenen Selbstverständnis der Treffpunkt der Eliten, über seinen Vorsitzenden Karl Haniel, Geschäftsführer der Firma Haniel & Lueg sowie Aufsichtsratsmitglied der Oberhausener Gute Hoffnungshütte, zu einem Vortrag von Adolf Hitler mit anschließendem Souper eingeladen.

Hitler war für die der Industriellen an Rhein und Ruhr schon deshalb hoch interessant, weil aus der NSDAP eine Massenpartei geworden und sie aus den Reichstagswahlen von September 1930 als stärkste Partei hervorgegangen war.
Das Interesse der Industriellen war groß, so groß, dass auf den Ballsaal des damaligen Parkhotels, des heutigen Steigenberger Parkhotels, ausgewichen werden musste, und auch dort reichten die Sitzplätze für die 650 Teilnehmer nicht aus. Das gemeinsame 8 Gänge-Souper mit Adolf Hitler ließen sich immerhin 500 Personen nicht entgehen. Es kostete das Dreifache dessen, was ein Arbeiter pro Tag verdiente.
Aber auch auf der Straße gab es ein Gedränge, Arbeiterinnen und Arbeiter, Gewerkschafter, Mitglieder der KPD und der SPD protestierten gegen das Treffen der Industrieelite mit dem Führer der Nazipartei. Die Demonstranten waren so zahlreich erschienen, dass Hitler, begleitet von Göring und SA-Chef Röhm, alle drei dem Anlass entsprechend in einem dunklen Zwirn gekleidet, nur durch einen Nebeneingang ins Gebäude gelangen konnte. Der Eingang hier in der Elberfelder Straße 6-8 war völlig blockiert von den Protestierenden. Unter ihnen waren auch Maria Wachter und Fritz Hollstein. Manche von Euch werden sie noch kennen. Maria Wachter war mit ihrer Agit Prop Truppe „Nord-West ran“ gekommen: „Wir standen in blauen Arbeitsanzügen und roten Tüchern vor dem Industrieclub und riefen: „Hitler raus“! Dann kam die Polizei und hat uns alle zerstreut, aber nach kurzer Zeit standen wir wieder dort.“
Auch Fritz Hollstein erinnerte sich an den massiven Polizeieinsatz:
„Die Polizei, teils zu Pferd, wurde gegen uns eingesetzt“, so Fritz Hollstein, „weil wir warnend riefen: ‚Hitler – das ist Krieg!‘ Wir wurden verprügelt, manche wurden in den Keller des benachbarten Stadttheaters, des heutigen Opernhauses eingesperrt.“
Die Freiheit, die KPD Zeitung für das Rheinland und Westfalen, berichtete von Rufen wie: „Nieder mit dem Unternehmerlakai Hitler, auf die mit hundertfachem Echo „nieder -nieder“ geantwortet wurde.

Und was spielte sich drinnen ab?
Versammelt waren die wichtigen Industriebosse wie Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke (VESTAG), des weltweit 2 größten Stahlwerks mit Sitz in Düsseldorf, Fritz Thyssen (Aufsichtsratsvorsitzender der VESTAG, auch Ernst Poensgen (Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Vestag), um nur einige für Düsseldorf relevante Namen zu nennen. Laut Angaben des Industrieclubs waren Vertreter fast aller großen Unternehmen anwesend. Gustav Krupp wollte als gerade gewählter Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), des mächtigsten Industrieverbandes, nicht persönlich teilnehmen. Er bewirkte aber bei Karl Haniel, das 2 seiner Vertrauten, auch wenn sie keine Clubmitglieder waren, Zutritt zu den heiligen Hallen an diesem Abend bekamen.

Der damalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr eröffnete den Abend. 20 Jahre später zum Bundesinnenminister arriviert, setzte derselbe Lehr die Verbotsverfahren gegen die FDJ und gegen die KPD in Gang. Bis heute – Ehre wem Ehre gebührt – trägt ein Teil des Düsseldorfer Rheinufers seinen Namen.
Fritz Thyssen, der einer der ersten Hitler-Fans war, führte Hitler in den Club ein. Hitler ging es darum, sich als Führer einer Partei zu präsentieren, die die Regierungsgeschäfte im Sinne der Industriellen übernehmen kann.
Von dem Schreckwort „Sozialismus“, „nationaler“ oder auch nicht, war an diesem Abend deshalb nicht die Rede, auch nicht von Antisemitismus, dagegen viel von Zerschlagung der Arbeiterbewegung und Ausrottung des Marxismus. Ein diktatorischer Staat, so Hitler, wäre für die Privatwirtschaft weitaus förderlicher als demokratische Verhältnisse. Ein diszipliniertes, an Befehle gewöhntes Volk wäre die beste Voraussetzung für die Eröffnung „neuer Möglichkeiten“ in der Welt. Die Zuhörer verstanden sehr wohl, dass es um Aufrüstung und einen erneuten Krieg als Revanche für den verlorenen Weltkrieg ging, und waren damit einverstanden.
Über die Stärke des Applauses gibt es unterschiedliche Angaben, Protest gab es keinen, auch nicht als Fritz Thyssen die Versammlung mit dem Ausruf „Heil Hitler“ beendete.
Selbstverständlich waren mit dem Treffen im Industrieclub noch nicht alle Bedenken der deutschen Wirtschaftselite gegenüber der NSDAP beseitigt. Manche waren sich noch nicht sicher, ob die Parole eines nationalen Sozialismus nicht doch mehr war als bloße Rattenfängerei mit dem Ziel, die Arbeiter aus der KPD und SPD in die NSDAP zu ziehen. Ein wichtiger Schritt der Annäherung war mit dem Treffen jedoch vollzogen. Schon tags darauf folgten auf dem Landsitz von Fritz Thyssen Geheimverhandlungen von Thyssen, Vögler und Ernst Poensgen mit Hitler, Göring und Röhm. Und das war nur eins von mindestens 20 weiteren Treffen zwischen Hitler und den Industrievertretern vor dem 30. Januar 1933.

Aufgrund des finanziellen Potentials, das die Mitglieder des Industrieclubs repräsentierten, erwarteten die Nazis nach dem 26.01.1932 zurecht weitere großzügige Spenden für den kostspieligen Parteiapparat, für ihre beiden Bürgerkriegsarmeen SA und SS, und für die aufwendige Propaganda im Wahljahr Jahr 1932.
Es ist hier kein Platz alle offenen und verschlungenen Wege, die zur Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 führten, aufzuzeichnen.
Aber ohne die aktive Unterstützung der Großindustrie, der Großbanken, ihrer einflussreichen Verbände und der Großgrundbesitzer wäre es nie zur Machtübergabe an Adolf Hitler gekommen. Das wurde nach 1945 selbst im bürgerlichen Lager nicht mehr bestritten. Noch 1946 formulierte deshalb die CDU in ihrem Ahlener Programm:
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. … Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“
Der Kölner Bankier Kurt von Schröder, der eine besonders aktive Rolle bei der Vorbereitung der Machtübergabe an Hitler gespielt hatte, sagte vor dem Nürnberger Gericht aus:
„Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an der Macht zu sehen… Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend.“
Und der US-amerikanische Militärjurist Telford Taylor, der Hauptankläger in den Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen die IG Farben, stellte unmissverständlich fest:
„Ohne eine Zusammenarbeit der deutschen Industrie und der Nazi Partei hätten Hitler und seine Parteigenossen niemals die Macht in Deutschland ergreifen und festigen können, und das Dritte Reich hätte nie gewagt, die Welt in einen Krieg zu stürzen.“
Nach der Befreiung wurden in Düsseldorf Kommunistinnen und Kommunisten in die Stadtverwaltung und ihre Gremien aufgenommen. So gab es 1946 mit Peter Waterkortte einen Kommunisten als Bürgermeister und der Kommunist und Widerstandskämpfer Hanns Kralik wurde von den Briten als Kulturdezernent eingesetzt. Im Schulausschuss z.B. saß die bekannte Kommunistin Minne Arzt.
Im Zuge des Kalten Krieges jedoch erfolgte die Entnazifizierung und Rehabilitierung der Unterstützer des Faschismus, während alle, die sich gegen die geplante Wiederaufrüstung stellten, kriminalisiert wurden. Deren Schicksal schildert Hannah Eggerath, die selbst ein Opfer der Verfolgung wurde, eindrucksvoll in der gerade von der VVN Düsseldorf herausgegebenen Dokumentation: „POLITISCH INHAFTIERTE IN DER NACHKRIEGSZEIT AUF DER ULM“

Heute wird alles getan, um den engen Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Faschismus und Krieg vergessen zu machen, wie wir es u.a. an der Umgestaltung vieler Gedenkstätten bemerken können.

1932 hatten die Kommunisten und ihre Presse keinen Zutritt zu der Versammlung, so verlegte sich die KPD-Zeitung „Freiheit“ darauf, 10 brennende Fragen der Industriellen an Hitler zu formulieren und die Antworten den Parteidokumenten und Reden der Parteiführung zu entnehmen.
So lautet die Antwort auf die Frage, ob Hitler die „Richtigkeit und Zweckmäßigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsführung anerkenne: „Voll und ganz. Ich weise nur auf das hervorragendste und weitbekannteste Beispiel kapitalistischer Wirtschaftsführung durch den von mir besonders verehrten Herrn Ford hin. Nicht minder hoch sind in dieser Hinsicht die wirklich großen Schöpfer unserer Schwerindustrie einzuschätzen, die Krupp, Kirdorf, Mannesmann, Thyssen, Siemens.““
Und eine andere Frage hieß:
„Sie wissen, Herr Hitler, daß unsere wirtschaftlichen Gewinne auch durch die sogenannte Sozialpolitik beeinträchtigt werden, durch die Beträge, die wir für Krankenkasse, Invalidenversicherung und Arbeitslosenversicherung abzuführen haben. Wie stehen sie zur Sozialpolitik und insbesondere zur Arbeitslosenunterstützung?
Antwort:
„Es wird nicht zu umgehen sein, daß die … Sozialpolitik fällt, die in Wirklichkeit nichts ist, als die Stabilisierung des Versorgungsstaates zur Heranzüchtung eines Lumpenproletariats … , die Arbeitslosenpolitik macht arbeitsscheu. Man kann schon von einer Arbeitsflucht reden, selbst die fleißigsten Elemente werden angesteckt.“

Zurecht stellen wir uns heute gegen die AfD – eine Partei, in der faschistische Kräfte zunehmend an Einfluss gewinnen. Aber wie würden solche Fragen heute denn – natürlich nicht in aller Öffentlichkeit, sondern vor einem mit dem exklusiven Industrieclub vergleichbaren Gremium – von den Parteien beantwortet, die die jetzige wie die vorherige Bundesregierung stellen? Würden sie grundsätzlich andere Antworten geben?
Nein, solange die Parteien des sogenannten „demokratischen Spektrums“ in der Lage sind, die Bevölkerung still zu halten, bedarf es der AFD noch nicht. Sie hilft dazu, das gesamte politische Klima nach rechts zu drücken, sie ist aber noch nicht die notwendige Alternative für die wirklich Mächtigen in Deutschland. Das lässt sich schon daran ablesen, dass die größten Spenden vor der Bundestagswahl 2021 an die FDP, die CDU und – nicht zu vergessen – an die Grünen gegangen sind.
Also an die ehemalige Friedenspartei, die sich heute im Namen einer „regel- und wertbasierten Außenpolitik besonders stark macht für eine verschärfte Einkreisung Russlands – und jetzt auch Chinas durch die NATO.
Unsere Kundgebung gilt Hitlers Rede vor dem Industrieclub vor 90 Jahren im Januar 1932. Es kann aber auch nicht schaden, sich auch an ein Ereignis fast genau 10 Jahre später zu erinnern: Am 15. Januar 1942 war Hitler gezwungen, nach der Niederlage in der Schlacht um Moskau der faschistischen Wehrmacht den Rückzugsbefehl zu geben. Der geplante „Blitzkrieg“ gegen die UdSSR – im Volksmund: gegen die „Russen“ – war damit gescheitert. Ein weiters Jahr später – im Januar 1943 – läutete die Niederlage von Stalingrad auch das Ende der Weltmachtpläne des faschistischen deutschen Imperialismus ein.

Gegen ihr Wiederaufleben, jetzt im „transatlantischen Bündnis“ mit den USA, müssen wir uns heute wehren.
Mehr denn je braucht es eine starke Friedens- und antifaschistische Bewegung!

Gisela Blomberg

Wie 007: Lizenz zum Recherchieren!

27. Februar 2021

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Das Mannesmann-Archiv und die „verschwundenen“ Nachweise für Zwangsarbeiter/innen

In der Zeitung „Überleben“ des „Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte“ fanden wir diesen Bericht über das Verhalten eines Konzerns gegenüber seinen ehemaligen Zwangsarbeiter/innen und darüber, wie der Bundesverband doch noch Informationen bekam, um den NS-Opfern zu helfen. Eine spannende Geschichte.

Von Milena Rivera Espejo

Es war ein Tag Mitte Februar ´20. Ich saß im Zug. Rückblickend denke ich, dass ich der einzige Fahrgast war, aber da trügt mich wohl meine Erinnerung. Auf meinem Schoß lagen sie: Listen, Dokumente – ich hielt sie fest umklammert. Ich fühlte mich wie in einem dieser Filme: Whistleblower, verschlüsselte Absprachen, Unbekannte an irgendwelchen Bahnhöfen treffen, die Übergabe geheimer Dokumente. Aber es war kein Film, sondern mein Job.

Stunden vorher stand ich am Duisburger Bahnhof, wartete auf Herrn B., einen Whistleblower, der früher bei Mannesmann am Standort Düsseldorf-Rath gearbeitet hatte. Er kam, holte mich ab, die Atmosphäre war ungezwungen, freundlich, sehr angenehm. Wir fuhren zu ihm nach Hause, ich setzte mich an diesen großen Holztisch mit Blick auf den Garten. Der Tisch war voller Unterlagen, ich trank einen Schluck Kaffee und Herr B. begann zu erzählen.

Lange schon hatte Herr B. für Mannesmann im Aufgabengebiet „Rentenbezüge“ gearbeitet. Dann fing er an, für das Unternehmen unbequem zu werden, weil er Fragen stellte, weil er Ungereimtheiten aufdeckte. Er wurde versetzt. Nun kam er an die Seite von Frau S., deren Aufgabengebiet es unter anderem war – auf Anfrage – im Archiv Nachweise ehemaliger Zwangsarbeiter*innen zu suchen. In den Jahren 1940 bis 1945 hatte das Unternehmen in großem Stil Zwangsarbeiter/innen und Kriegsgefangene in seinen Werken eingesetzt.
Die Anfragen wurden jedoch ausnahmslos abschlägig beantwortet. Es gebe keine Unterlagen mehr, die wurden alle während der Bombenangriffe zerstört, so die Aussage.
Eines Tages wurde Frau S. krank und Herr B. übernahm ihr Aufgabengebiet. Das Archiv lag im Keller, ein Ort, an dem sich Frau S. wohl nicht gerne aufhielt. Herr B. aber suchte diesen auf – und wurde fündig. Dort waren sie: Listen mit Namen ehemaliger Zwangsarbeiter/innen, Unterlagen, die die Zwangsarbeit belegten. Wichtige Nachweise für die Betroffenen, um materielle Entschädigung und höhere Rentenbezüge zu bekommen. Herr B. ging daraufhin zur Personalleitung und setzte diese davon in Kenntnis, dass es sehr wohl Belege gibt und nicht alles in den Bombenangriffen zerstört wurde. Davon wollte die Personalleitung allerdings nichts wissen. Er wolle doch jetzt nicht wieder ein Fass aufmachen. Herrn B. wurde massiv gedroht, er solle bei der alten Geschichte bleiben, oder er werde gefeuert. Die Dokumente sollte er vernichten. Herr Z. wurde ihm als „Aufpasser“ zur Seite gestellt, also nahm Herr B. die Dokumente, die Listen unter Aufsicht von Herrn Z. und brachte sie in den Keller, warf sie in einen Container der Dokumentenvernichtung.
Aus, vorbei, verloren.
Allerdings waren die Container nicht abgeschlossen, das fiel Herrn B. sofort auf. Nach Feierabend schlich er sich wieder in den Keller, öffnete den Container, holte die Unterlagen heraus, verstaute sie in seiner Tasche und ging schnell nach Hause. Um nicht aufzufallen entsorgte Herr B. am nächsten Morgen direkt andere Dokumente, damit sein „Aufpasser“ Herr Z. glaubte, die Belege über die Zwangsarbeit seien nur weiter nach unten gerutscht.

Unglaublich! Was für eine Geschichte! Eines aber irritierte mich: Der Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. hatte im Rahmen seines Projektes „Nachweisbeschaffung“ bereits mit Mannesmann Kontakt aufgenommen. Das Mannesmann-Archiv war damals sehr kooperativ gewesen, hatte dem Bundesverband Unterlagen zur Verfügung gestellt, so dass die betroffenen Menschen eine materielle Entschädigung erhalten konnten. Als ich dies ansprach, lachte Herr B. kurz laut auf. Nicht alle Dokumente wurden in dem Hauptarchiv gelagert. Die Standorte verfügten über eigene kleinere Archive. Wenn die Mitarbeiter/innen im Hauptarchiv nicht fündig geworden waren, fragten sie die einzelnen Standorte an. Damals fiel wohl schon auf, dass der Standort Düsseldorf-Rath ungewöhnlich viele negative Bescheide erteilte. Es wurde nachgehakt, aber ansonsten passierte nichts.
2011 ging Herr B. in Rente und das Thema „Zwangsarbeit“ verlief im Sand. Die Dokumente allerdings sind noch vorhanden …

Der Zug hielt an: Köln Hauptbahnhof. Ich nahm die Dokumente und stieg aus, verlor mich in der Menge des Getümmels. Im Gepäck: Eine Geschichte, bei der es sich lohnt, genauer nachzuforschen.

Die Mannesmann AG wurde in 2000 von Vodafone (Großbritannien) übernommen. Die Mannesmann-Röhrenproduktion ging an die Salzgitter AG, andere Betriebsteile wurden aufgeteilt auf zahlreiche Metall- und Stahlunternehmungen.
Über Mannesmann im Kriege fand Gisela Blomberg aus Düsseldorf wichtige Informationen heraus. Siehe das Buch der VVN-BdA NRW über „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr“ sowie die Archiv-WebSite von Verbrechen der Wirtschaft.

Warum gibt es eigentlich die vielen Fritz Haber- und Ferdinand-Porsche-Straßen?

26. Februar 2021

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Porsches Erfolge „beruhten auf Sklavenarbeit“
Der Roman „Hartenstein“ erinnert an Zwangsarbeit und andere Naziverbrechen

Wolfram Adolphi (70), Chinawissenschaftler, Journalist und Schriftsteller aus der DDR, hat mit „Der Enkel vorne links“ den dritten Band seiner autobiografisch geprägten Roman-Trilogie „Hartenstein“ vorgelegt. Im Kapitel „Der Abriss“ erfahren wir, wie sich der Roman-Protagonist Jakob Hartenstein Gedanken über Fritz Haber macht: den „Vater“ des Gaskrieges im Ersten Weltkrieg, der sich zugleich als Entdecker des Verfahrens, Stickstoff aus der Luft zu gewinnen, einen Namen gemacht hat und dem bis heute unzählige Straßen gewidmet sind.

Warum nicht – fragt sich Jakobs junge Mitstreiterin Elisa Graetz – die Haberstraße in Leupau einfach in Clara-Immerwahr-Straße umbenennen? Um damit die Ehefrau Habers zu ehren, die selbst Chemikerin war und sich im Entsetzen über die Kriegsverbrechen ihres Ehemannes das Leben nahm?

Aber die kleine nächtliche Aktion mit neuen Straßenschildern bleibt nur Symbol. Offiziell bleibt auch in Leupau die Haberstraße erhalten – und es bleibt also geehrt ein Mann, der nach dem Tod seiner Frau weiter machte wie bisher. „Wurde“, lässt Adolphi seinen Jakob Hartenstein sagen, „zum Initiator der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), in der seine Mitarbeiter, damit die Gesellschaft ihren Zweck erfüllte, ein Präparat aus Cyan- und Chlorverbindungen erfanden, das 1920 unter dem Namen Zyklon auf den Schädlingsbekämpfungsmarkt kam. Zyklon. Ein paar Jahre später – Haber, der Anfang neunzehnhundertvierunddreißig starb, war nicht mehr dabei – verbesserten sie es. Wie es die Art ist von Weiterentwicklern. Und machten es zum später millionenfach mörderischen Menschenvernichtungsgas Zyklon B.“

Über die frühen Absprachen zwischen der IG Farben und Hitler über einen Festpreis für das aus Braunkohle zu gewinnende Benzin – „Und nun ein Festpreis! Aus der Staatskasse! Nie wieder – das wussten Bosch und Haber ganz genau – würde ihnen wieder jemand so ein Geschenk machen wie die Faschisten“ – lässt Adolphi Jakob zu einem anderen vielfachen Straßennamenspatron kommen: Ferdinand Porsche. Eng war das Bündnis zwischen Porsche und Hitler, die Verbindung von VW mit Krieg und Faschismus. Und dennoch:

„Und wie viele Ferdinand-Porsche-Straßen gab es – ja, jetzt, an diesem Tag, und nicht irgendwann – in Deutschland? Jakob warf die Suchmaschine an: Frankfurt am Main, Offenbach, Köln, Gera, Leimen, Lippstadt, Dortmund, Bonn, Nufringen, Ettlingen, Grünstadt, Stade, Bischofswiesen, Heinsbach, Gütersloh, Besigheim, Aalen, Bretzfeld-Schwabbach – ach, es war genug. Immer neue Namen tauchten auf. Wer sollte sie alle aufschreiben und zählen. Und warum. Porsche gehörte zu Deutschland. Und so, wie Porsche dazugehörte, auch die Zeit des Faschismus. Und wie man damit umging? Der Zeitgeist sprach seine überwältigende Sprache. Da mochte ein Buch wie das von Georg Meck Klarheit schaffen über die Zusammenhänge – den Zeitgeist störte das nicht. Damals war Diktatur, rief er, jetzt ist Demokratie, da ist alles ganz anders, und damit war alles geklärt.“

Um Porsche ausführlicher darzustellen, lässt Adolphi Jakob aus der Autobiografie vom 2019 verstorbenen Porsche-Enkel Ferdinand Piëch – selbst einer der Granden des Porsche-Volkswagen-Komplexes – zitieren. Da ist dann also zu lesen, dass Porsche schon in den neunzehnhundertzwanziger Jahren in persönlichen Kontakt mit Hitler gekommen sei und dieser ihn „überaus geschätzt“ habe. Man habe sich in den beiderseitigen „Motorisierungsideen“ getroffen. Das sollte sich später für Porsche als überaus profitabel erweisen. Als Hitler 1934 von der Automobilindustrie den „wirtschaftlichen Kleinwagen“ verlangte, „den sich jedermann in Deutschland leisten können solle“, sei man im Porsche-Konstruktionsbüro „im Vordenken schon sehr weitgekommen“ und habe „rasch ein Konzept vorlegen“ können. Daraufhin sei der „Entwicklungsauftrag erteilt“ worden, und zwei Jahre später „begannen die Versuchsfahrten in größerem Stil“.

„War er da“, sinnt Jakob, „nun für noch anderes verantwortlich zu machen außer für ein praktisches Auto, der Hitler-Freund Porsche? Nicht wirklich, liest Jakob bei Piëch, und der meinte das nicht allein und nur für sich, sondern hatte sich des Beistands der Geschichtswissenschaft versichert. ‚In der kürzesten Verdichtung‘ – schrieb Piëch – ‚kommt der Historiker Hans Mommsen zu dem Schluss: ›Wie weit sich Porsche über den verbrecherischen Charakter des Regimes, dem er diente und dem er entscheidende Förderung verdankte, im Klaren gewesen ist, muss offen bleiben. Er stellte den Prototyp des ausschließlich an technischen Fragen interessierten Fachmanns dar, der sich aber andererseits nicht scheute, die Herrschenden direkt anzugehen, wenn es um die Interessen des Volkswagenwerkes ging. Unter den Industrieführern der NS-Zeit nahm Porsche ebenso eine Sonderstellung ein wie in der politischen Führungselite.‹ Na bitte. Und auch Ferry Porsche, Sohn des Firmengründers, kommt bei Piëch in diesem Sinne zu Wort. Ein ‚äußerst praktischer Mann‘ sei sein Vater Ferdinand Porsche gewesen, ‚ein Realist, jederzeit in der Lage, ein Problem sofort zu verstehen und oftmals auch umgehend zu lösen‘ – aber erstaunlicherweise eben nur ‚in technischen Belangen‘. Politisch hingegen sei er ‚naiv wie ein Kind‘ gewesen. Über ‚Ereignisse von nationaler oder internationaler Bedeutung‘ habe er sich ‚keine Gedanken gemacht‘.

Naiv wie ein Kind. Der Autobauer der Spitzenklasse und
Hitlerfreund. Dessen Naivität sich – so war an anderer Stelle
zu erfahren – mit Distanzwahrung verband. ‚Distanz zum ganzen Brimborium der Nazis.‘ Ja, das schrieben sie gern in diesen Kreisen. Dass sie mit den Nazis eigentlich nichts zu tun haben wollten.“

Und Adolphi lässt Jakob weiter über die beiden Autobauer nachdenken. Es war ja nicht so, „dass Piëch die Fakten der engen Verquickung mit dem faschistischen Regime nicht zur Kenntnis genommen hatte. Durchaus eindrucksvoll beschrieb er, wie für den Bau des von Porsche erfundenen Autos in der Nähe der kleinen niedersächsischen Ortschaft Fallersleben mit den Geldern der Kraft durch Freude-Organisation, die zu einem großen Teil aus dem 1933 von den Nazis beschlagnahmten Gewerkschaftsvermögen stammten, jenes Werk errichtet wurde, das bis heute den Kern des weltweit agierenden Volkswagenkonzerns bildet. Wolfsburg heißt die Stadt
heute. Den Namen hatte sie 1945 von den britischen Sieger- und Besatzungstruppen erhalten.

Und Jakob las weiter, dass im Volkswagenwerk von neunzehnhundertvierzig an ‚Flugzeuge repariert und Flugzeugteile produziert wurden‘.“ Die Produktion des Volkswagens hingegen „sei ‚nicht über 630 Stück hinaus‘ gekommen, entwickelt worden sei aber ‚der vielgerühmte Geländewagen‘ (›Kübelwagen‹), von dem der ‚Schwimmwagen und der Kommandantenwagen abgeleitet‘ worden seien mit einer Gesamtproduktion von ‚rund 66.000 Stück‘. Ansonsten sei das Werk ‚nur‘ – tatsächlich: nur! – ‚für die Rüstungsproduktion genutzt‘ worden: ‚Motoren und Feldöfen, Flugzeug-Bauteile, Panzerketten, Munition, Gehäuse für Bomben, Minen und die V1‘. Und ‚wesentlich‘ sei auch die ‚Flugzeugreparatur‘ geblieben.

Und auch vom ‚dunkelsten Kapitel‘ hatte Piëch geschrieben. Dem ‚Schicksal der Zwangsarbeiter. Zuerst waren es Zwangsverpflichtete aus Deutschland und den besetzten Gebieten, dann auch Juden aus KZs und Kriegsgefangene, hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion.‘“

„Drei Zeilen“, resümiert Jakob diesen Abschnitt bei Piëch. Drei Zeilen. „Nicht mehr. Und Ferdinand Porsche – ‚naiv wie ein Kind‘ – war auch in dieser Zeit ‚die bestimmende Kraft in der Unternehmensführung‘.“

Wir wissen: Deren Erfolge beruhten auf Sklavenarbeit. Die Betriebsgewinne in den Kriegsjahren waren enorm. Die spätere „\Wiedergutmachung“ entsprach nicht diesen Gewinnen. Große Gewinne wurden nach dem Krieg auf der Grundlage des im Krieg durch Sklavenarbeit vermehrten Kapitals erzielt. Die Mítschuld an der militärischen Ertüchtigung des Nazi-Regimes und der Sicherung seiner Fähigkeit, den Krieg so lange und so brutal zu führen, wie es dann geschehen war, wird in Piëchs Betrachtungen noch nicht einmal ansatzweise berührt.

Umso ausführlicher aber – merkt Jakob – in der Porsche-Volkswagen-Darstellung von Georg Meck. „Sofort wurde das Bild klarer. Nicht eine kurze Episode war der Zwangsarbeitereinsatz gewesen und nicht etwas, was es irgendwie zusätzlich gab – nicht also ein ‚dunkles Kapitel‘ neben ansonsten ganz hellen –, sondern eine Voraussetzung für die Produktion überhaupt. Seit Kriegsbeginn – schrieb Meck – war Porsche ‚mit seiner Fabrik permanent auf ausländische Einsatzkräfte angewiesen‘.“ Porsche sei „nicht davor zurückgeschreckt, ‚mit Himmler einen Vertrag auszuhecken, wonach die SS die Fertigstellung, den Ausbau und Betrieb der Gießerei mit KZ-Häftlingen‘ übernahm und er ‚im Gegenzug‘ der SS ‚die bevorzugte Lieferung von 4000 Autos‘ garantierte.“ Und weiter las Jakob bei Meck über KZ-Häftlinge: „‘Allein im Stammwerk‘ seien ‚800 Männer als Bauarbeiter geschunden‘ worden, und ‚650 Frauen‘ hätten ‚Panzerfäuste und Tellerminen‘ hergestellt.“ Zum Jahreswechsel 1944/45 „seien ‚im VW-Werk insgesamt 17.365 Zwangsarbeiter beschäftigt‘ gewesen, davon ‚zwei Drittel Ausländer‘. Historiker – schrieb Meck weiter – beschrieben die im Werk herrschenden Zustände ‚als dramatisch‘, und er zitiert Christoph Kopper: ‚Im Werk waren die sowjetischen Arbeitssklaven dem Sadismus der Leute vom Werkschutz wehrlos ausgesetzt. Die Werksleitung nahm die unzumutbare Unterbringung und Verpflegung der ›Ostarbeiter‹ in Kauf‘, für sie ‚habe die Produktion absoluten Vorrang vor humanitären Bedenken‘ gehabt.“

Quelle: Wolfram Adolphi, „Hartenstein“, Band 3 „Der Enkel vorne links“, Roman, Nora-Verlag, Berlin 2020, S. 464-471

Hitler und 27 Industrielle: Geheimtreffen am 20. Februar 1933

22. Februar 2021

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Der Jahrestag des Geheimtreffens vom 20. Februar 1933 blieb auch in diesem Jahr unbeachtet. Die Zusammenkunft Adolf Hitlers mit 27 Industriellen in Hermann Görings Amtssitz im Reichstagspräsidentenpalais zur Finanzierung des Wahlkampfes der NSDAP war jedoch entscheidend für den Weg in Faschismus und Krieg.

Der Organisator des Treffens war Hjalmar Schacht, ehemaliger und zukünftiger Reichsbankpräsident; – Am Treffen nahmen u. a. die folgenden Wirtschaftsvertreter teil:
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Vorsitzender des Präsidiums des Reichsverbandes der Deutschen Industrie; – Albert Vögler, erster Vorstandsvorsitzender der Vereinigte Stahlwerke AG; – Fritz Springorum, Hoesch AG; – August Rosterg, Generaldirektor der Wintershall AG; – Georg von Schnitzler, Vorstandsmitglied der I.G. Farben; – Hugo Stinnes junior, Vorstandsmitglied des Reichsverband der Deutschen Industrie, Mitglied des Aufsichtsrats des Rheinisch-Westfälischen Kohlen-Syndikats; – Fritz von Opel, Vorstandsmitglied der Adam Opel AG; – Günther Quandt, Großindustrieller, aufgrund seiner Unterstützung des Regimes späterer Wehrwirtschaftsführer; – Friedrich Flick; – August von Finck, war in zahlreichen Aufsichtsräten und Fachgremien;
In unserem Buch „Von Arisierung bis Zwangsarbeit – Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“, Köln, 2012, herausgegeben von der VVN-BdA NRW wird über das Geheimtreffen ausgeführt:

Auf diesem Treffen wurde für den laufenden Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März 1933 ein Wahlfonds von drei Millionen Reichsmark für die NSDAP und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot beschlossen. Die NSDAP sollte zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot die notwendige Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz erreichen. Tatsächlich wurde diese Wahl zur letzten Mehrparteien-Reichstagswahl des Deutschen Reichs. 75 Prozent des Fonds ging an die NSDAP. Davon sind mehr als zwei Millionen Reichsmark direkt als Einzahlung an die NSDAP nachweisbar.1
Hitler überzeugte die anwesenden Industriellen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen Demokratie und Kommunismus: Hitler wörtlich:

»Wir stehen heute vor folgender Situation: Weimar hat uns eine bestimmte Verfassungsform aufoktroyiert, mit der man uns auf eine demokratische Basis gestellt hat. Damit ist uns aber keine leistungsfähige Regierungsgewalt beschert worden. Im Gegenteil, der Kommunismus musste sich nach dem, wie ich eingangs die Demokratie kritisiert habe, immer tiefer in das Volk hineinbohren.«
Dann erklärte Hitler, er brauche die gesamten Machtmittel des Staates, um den Kommunismus niederzuwerfen:
»Wir müssen erst die ganzen Machtmittel in die Hand bekommen, wenn wir die andere Seite ganz zu Boden werfen wollen. […] Wir müssen in Preußen [Anm.: gleichzeitige Landtagswahl] noch 10, im Reich noch 33 Mandate erringen. Das ist, wenn wir alle Kräfte einsetzen, nicht unmöglich. Dann beginnt erst die zweite Aktion gegen den Kommunismus.« 2
Hier zeichnete sich besonders Krupp von Bohlen und Halbach aus, der zu den 27 anwesenden Teilnehmern in seiner Dankesrede zum Privateigentum und zur Wehrhaftigkeit bekannte. (…)

(…) Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen »Lebensraums« konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn »ins Reich« geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Gustav Luntowski fand in seinem informativen Buch für alles eine Entschuldigung: »Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.« Diese »Fortexistenz« des Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod.3 (…)

Hitler sagte u.a. ferner: »Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will … Wenn die Wahl nicht entscheidet, muss die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen … oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert …« Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die geladenen Industriellen für den Wahlkampf der Nationalsozialisten drei Mio. RM.

Gustav Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: »Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. … Ermöglichung der Kapitalbildung. … Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.«4 (…)

Schwerindustrie wollte die Abschaffung der Demokratie und der Linken, sie wollte die Hochrüstung

Adam Tooze schrieb über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in Görings Reichstagspräsidentenpalais: »Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen.« … »Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder sich seinen Eroberungsplänen anzuschließen.«
Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »Das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken«. 5 Die »gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung«. Allein bei diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für den Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der britische Historiker Tooze: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland«.6
Tooze: »Faktisch aber waren es die Spenden vom Februar und März 1933 gewesen, die einen wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte stand.«
Am Ende seines Buches stellte Tooze die Frage, warum die Lobby der deutschen »Privatwirtschaft« in der Folgezeit den »drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv behindert.7 Tooze: Zwar widersprach die »autokratische nationalsozialistische Wende« deutlich der »internationalen Agenda« – den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten«.8
Wer an das Dogma glaubt, dass die Unterstützung der Großindustrie für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht Tooze deutlich, dass sie sich 1933 »dem politischen Wandel nicht entgegen [stellte], wie während der ersten Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als willfähriger Partner« anbot.9 Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich »etwas Widerstand« erwartet hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik, so schreibt der Autor in seiner »Ökonomie der Zerstörung«, auf »bereitwillige Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die große Zahl neuer Überwachungsbehörden – »alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde«.10

Schon vorher gab es Geheimtreffen

Die Teilnehmer des Geheimtreffens waren zumeist nach 1945 wieder aufgestiegen und es war nicht üblich, ihnen Vorhaltungen zu machen. Aber das ändert nichts an den Tatsachen. Schon im Januar ‚33 sammelte die »Ruhrlade« für Hitlers Wahlkampf. Einige Tage nach dem Zusammentreffen in Köln vom 4. Januar 1933 zur Machtübertragung an Hitler trafen sich die Teilnehmer des Treffens in Dortmund und Mülheim (hier auch mit Emil Kirdorf und Adolf Hitler!). Papen informierte über das geheime Konferenzergebnis von Köln. Bei diesen beiden Gesprächen wurde eine Million Reichsmark für die NSDAP bewilligt. Die Aussicht, dass es auf lange Zeit keine Wahlen mehr geben sollte, verlockte schon vor dem 30. Januar viele der großen Finanz- und Industriemänner zur Zustimmung zur Hitlerkanzlerschaft. Diese Zahlungen waren gegen die letzte Weimarer Reichsregierung und für die Diktatur bewilligt worden.
Zitiert sei aus dem Buch Hallgarten/Radkau »Deutsche Industrie und Politik«11: »Am 7. Januar – drei Tage nach dem Treffen mit Hitler bei von Schröder in Köln – machte Papen auf der Fahrt nach Berlin, wo er Hindenburg zu bearbeiten plante, in Dortmund Halt und besprach seine Pläne mit von ihm rasch zusammengerufenen Mitgliedern der ›Ruhrlade‹ – jenes geheimen Kreises ganz weniger industrieller Potentaten, der seit 1928 faktisch die Geschicke der deutschen Schwerindustrie leitete.« … »Die ›Ruhrlade‹ wusste, dass Papen, den sie als ihren politischen Sachwalter ansah, auf eine Diktatur mit Hitlers Beteiligung hinsteuerte, wie auch immer das Kabinett im Einzelnen aussehen mochte.« Berichtet wird, »dass die Sitzung in Dortmund unter anderem von Vögler und von Springorum (Hoesch) besucht war.« Die Hitler-Partei wurde »damals unmittelbar nach ›Köln‹ von einem Konsortium unter Leitung der beiden genannten Industriellen aus finanziellen Nöten gerettet«.12 Die Wertigkeit des Treffens vom 7. 4.1933 in der Villa Springorum in Dortmund war daher erheblich.13

Krupp organisierte die Finanzierung des Nazi-Regimes

Als nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 der Naziterror wütete, Kommunisten, viele Antifaschisten bereits verfolgt und getötet wurden und am 4. April 1933 die Kriegsvorbereitungen durch die Bildung eines geheimen »Reichsverteidigungsrates« begannen, war es Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der die Finanzierung der Nazis übernahm. Krupp befand sich in der Tradition seiner Familie, die bereits im 19. Jahrhundert für die preußisch-deutschen Monarchien Waffen schmiedete. (…)

Die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft war eine am 1. Juni 1933 eingerichtete Spende von der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und dem Reichsverband der Deutschen Industrie zugunsten der NSDAP. […] Angeregt wurde diese Spendenaktion für die NS-Bewegung von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Martin Bormann. Krupp führte das dazu installierte Kuratorium. Zu den Mitbegründern der »Kooperative auf Gegenseitigkeit« (bpb) gehörte der Ex-Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht. […]
Die abzuführende Spende wurde nach der Gesamtlohn- und -gehaltssumme berechnet. Damit wurden also die Lohnnebenkosten der Firmen erhöht. Die prozentuale Belastung schwankte zwischen 1 Prozent und 3,5 Prozent der gesamten Lohnkosten eines Betriebes. Bis 1945 kamen so 700 Millionen Reichsmark an Spenden zusammen.14
Krupp, IG-Farben, Flick, Thyssen und andere zahlten über die »Adolf-Hitler-Spende« der Nazipartei von 1933 bis 1945 jährlich über 60 Millionen RM. Allein die Dresdner Bank zahlte im Jahre 1934 120.000 RM.
Außer den Zahlungen für die »Hitler-Spende« machten die Rüstungsmonopole große finanzielle Zuwendungen an die SS und andere Organe des nazistischen Terrorapparates.
Zu den eifrigsten Geldgebern und Förderern der Nazi-Partei zählte Friedrich Flick. Neben ständigen Zahlungen an den sogenannten Freundeskreis Himmler – sie machten jährlich über 100.000 RM aus – zahlte Flick große Summen zur »Hitler-Spende« sowie an die örtlichen Stellen der Nazi-Partei. So überwies z. B. das zu seinem Konzern gehörende Stahlwerk Riesa in der Zeit vom 24. Februar 1933 bis Ende 1934 über 34.000 RM an örtliche SA- und SS-Verbände. Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens am 30. September 1938 sicherte der Vorstandsvorsitzende der IG-Farben, Hermann Schmitz, Hitler weitgehende finanzielle Unterstützungen zu:
»Unter dem Eindruck der von Ihnen, mein Führer, erreichten Heimkehr Sudetendeutschlands ins Reich, stellt Ihnen die IG-Farbenindustrie Aktiengesellschaft zur Verwendung für das sudetendeutsche Gebiet einen Betrag von einer halben Million Reichsmark zur Verfügung.« 15

Alle Zahlungen der Industriellen an das NS-Regime haben sich für die Kapitalisten gelohnt. Sie kamen reicher aus dem Krieg heraus als sie hineingingen.

Quellen für obige Darstellung:
Eine Dokumentation der VVN-BdA Essen von Walter Hilbig, ferner #Tooze, Adam: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007
Luntowski, Gustav: Hitler und die Herren an der Ruhr. Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt/M. – Bern 2000

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